Ein Hotdog unten am Hafen // Norden, Westen, Reykjavik

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Ein groβes Rätsel ist dank Ymir und seiner Clique nun endgültig gelöst: Bis in die vierte Ahnengeneration wird der Stammbaum überprüft. Ist der 19-Jährige nicht bis in die Ururgeneration hinein mit der Frau verwandt, steht dem Date nichts mehr im Weg.

Aber trotz der geringen Auswahl an Partnern auf der Insel mit ihren rund 330.000 Einwohnern sind er und seine Freunde  noch nicht in die Verlegenheit gekommen, sich in eine unbekannte Cousine zweiten Grades zu verlieben. Trotzdem spannend, wie Islandinga das Daten verändert hat. Ursprünglich haben Wissenschaftler die Stammbaumdaten der Isländer für eine medizinische Studie gesammelt. Informatikstudenten haben schlieβlich eine App daraus geformt, die für Zentraleuropäer auf den ersten Blick bizarr erscheint. Die App überprüft den  Verwandtschaftsgrad der potenziellen Partner.

Leuchtturmmusik am Nachmittag

Der Zufall hat uns zusammengebracht: Imo mit Hilmar (von links), Thröstur und Ymir vor der älteren der beiden Leuchttürme.

Als ich Ymir Stunden zuvor an den beiden Leuchttürmen von Akranes kennengelernt habe, hatte er Haare. Am Abend trägt er Glatze. Er spielt in zig Musikprojekten in Reykjavik, produziert elektronische Musik, singt in einer Punkband und plant im Leuchtturm eine Platte aufzunehmen. Seine Post-Rock-Geschichte, wahrscheinlich. Er hört sich an wie Digeridoo, als er den Sound testet. Hilmar legt den Finger auf den Mund. Wir horchen. Der Bass bahnt sich seinen Weg bis hoch unter den kreisenden Lichtkegel und wieder zurück. Als ein Bandmitglied von Sigur Ros vor einiger Zeit den Klang getestet hat, erzählt Hilmar andächtig, hat er die Zeit gestoppt. Zehn Sekunden, bis der Sound verklungen war. Wahnsinnsakustik war sein Fazit. Und Hilmar fühlt sich seitdem bestärkt darin, sein verrücktes Projekt voranzutreiben. Der jüngere und funktionierende Leuchtturm von Akranes ist seit geraumer Zeit Konzertsaal, Ausstellungsraum, ein – Verzeihung, das muss sein – Leuchtturmprojekt auf der Insel eben.

Rechter Turm: Licht, Musik, Kunst. Linker Turm: als Sehenswürdigkeit gerettet.

Hilmar ist nicht der Eigentümer, aber er kümmert sich für den Tourismusverband um die beiden Türme. Als der eine Turm den amerikanischen und britischen Schiffen im Zweiten Weltkrieg zu klein war den Weg zu weisen, hat die Stadt eine halbe Stunde nördlich von Reykjavik einen neuen gebaut. Als der alte beinahe zusammengestürzt ist, haben Hilmar und seine Mitstreiter Geld gesammelt. Jetzt hat Akranes zwei Leuchttürme an einem Ende der Landzunge. Einen mit Licht und Musik, der andere ein genau 100 Jahre altes Erinnerungsstück. Seitdem immer mehr Künstler im neuen Leuchtturm auftreten, Pianos über die schmalen Stiege bis in den zweiten Stock hochschleppen, will auch Hilmar expandieren. In dem leer stehenden Öltank ein paar hundert Meter weiter sieht er ein Aufnahmestudio. Imo und ich erleben an diesem Tag Ymirs tiefe Stimme, kein ganzes Konzert. Für alle anderen, die ihren Island-Trip erst noch planen, ist ein Blick in den Event-Kalender der Leuchttürme von Akranes ein ganz heiβer Tipp. Videos von den Auftritten gibtˋs auf dem Youtube-Kanal der Leuchttürme.

Gudmundurs Norden

Wir sind also wieder im Westen. Morgen geht der Flug und wie ich im letzten Beitrag kurz umrissen habe, waren die Tage zuvor weit weniger stressig als der Start. Wir sind drei Nächte bei Couchsurfer Gudmundur untergekommen, der sich seine Plakette als Gastgeber des Jahres gerne bei meiner Rückkehr in Deutschland abholen kann. Die Einladung steht. Gudmundur hat vor einigen Jahren beschlossen, sein Leben in Reykjavik aufzugeben und zu Vater und Stiefmutter aufs Land zu ziehen, ganz in den Norden nach Olafsfjördur. Mit seinem Vater zusammen bildet er das Zwei-Mann-Team der kommunalen Müllabfuhr, bildet Kinder zu Bergrettern aus und hat vor allem ein Ziel im Leben: keine schlechte Stimmung aufkommen zu lassen. Geld? Nebensächlich. In Olafsfjördur kann er doch gar nicht so viel ausgeben, wie er einnimmt, erzählt er uns.

Wir drehen mit ihm mehrere Runden im Allradwagen –  in die Berge, zu den Pferden, dem Nordlicht hinterher und die Region. Hier ein paar Tipps, was in den Tagen im Norden zusammgekommen ist:

1. Weihnachten, seit 22 Jahren

Gudmundur (links) bringt seine Couchsurfer regelmäβig zu Benedikt ins Weihnachtshaus unweit von Akureyri.

Zuckerstangen im Garten und Geschenke auf dem Dach. Vor dem Eingang ein Schild: noch 256 Tage bis Weihnachten. Was auf den ersten Blick wie ein typischer Ort für Bustouristen mit einem Hang zu Weihnachtskitsch aussieht, hat mehr zu bieten als überteuerte Christbaumkugeln. Das stellt sich beim Gespräch mit dem Eigentümer des Weihnachtshauses (Jolagadurinn) Benedikt Ingo Gretarsson heraus. Er hat das Haus einst für seine Kinder gebaut und die Idee hat sich verselbstständigt. Er verlangt keinen Eintritt, aber die Besucher könnten etwas kauffreudiger sein, erzählt er. Spannender sind seine Weihnachtsgeschichten: 13 Tage vorm Fest besuchen 13 Weihnachtsbuben die isländischen Kinder. Sie tragen übersetzte Namen wie Quarkfresser (Skyrgamur) und Kerzenschnorrer (Kertasnikir), werden hin und wieder vom Riesenkater Jolakötturinn begleitet, der sich alle Kinder schnappt, die an Weihnachten keine neuen Kleider tragen und die böse Hexenmutter Grylla greift sich die Gauner unter den Kindern, stopft sie in den Sack und verspeist sie später mit ihrem immermüden Langweilergatten. Die Weihnachtsbuben hecken Streiche aus, aber befüllen auch die Schuhe der Kinder auf den Fensterbrettern: meistens Süβes, hin und wieder Kartoffeln. Benedikt hat seine eigenen Theorien, wie sich die Mythen um die Weihnachtsbuben entwickelt haben. Fachkundig und kitschbefreit. Dazu reicht er ein Stück von der über Schafsmist geräucherten Lammkeule (Hangikjöt): So riecht Weihnachten auf Island, sagt er.

2. Beer Spa ohne Bierwasser

Ohne Bierbehandlung kommt man günstiger davon: der Auβenpool am Fjord. Lachen vergessen: ich.

Keine Ahnung, wann die Idee geboren wurde in jungem Bier zu baden –  wahrscheinlich mit der Expansion der Junggesellenabschiede. In Prag ist das ja längst kein Geheimtipp mehr und auch im übersehbaren Örtchen Arskogssandur zwischen Olafsfjördur und Dalvik hat ein Beer Spa eröffnet. Man kann hier mehr als 50 Euro für eine halbstündige Bier-Behandlung ausgeben (und dabei so viel Bier aus der angrenzenden Anlage zapfen, wie man für angemessen hält- nur nicht das Badewasser trinken, warnt ein Schild im Eingang). Oder man gibt deutlich weniger für die bierfreien Heiβwasser-Bottiche in der Auβenanlage aus – mit einem atemberaubenden Blick über das Fjord. Bier gibt es für 1000 ISK von der Bedienung, das zeitlich unbegrenzte Bad kostet 2000 Kronen, also rund 16 Euro.

3. Fischfestival in Dalvik

Heiβer Tipp von Gudmundur: Mit Tausenden Besuchern das Fischfest in Dalvik feiern. Das findet erst im August statt. Familien kochen dabei um die Wette: die beste Fischsuppe Islands wird an diesem Wochenende gekürt.

4. Zwischenstopp am Heringshafen

Kippenpause am Heringshafen.

Siglufjördur sieht man heute nicht mehr an, dass es bis in die Sechzigerjahre hinein über einen der gröβten Häfen des skandinavischen Nordens verfügt hat. Heute erinnert ein Museum an die Zeit des Heringbooms bis zur Krise – die Überfischung – und die Bankrotterklärung für das örtliche Gewerbe. Ein Blick ins Museum lohnt sich. Ganze Schiffe sind im einstigen Kontor zu sehen und lassen sich ohne „Berühren verboten!“-Schilder erkunden.

5. Versteckter Wasserfall und Hotpot

Reykjafoss.

Auf dem Weg in den Westen sollte man unbedingt an einem eher unbekannten und gut versteckten Wasserfall Halt machen. Auf einer Nebenstraβe bei Varmahlid hinter zwei schmalen Holzbrücken und einer Pferdekoppel strömt der Reykjafoss ins Tal, daneben eine mit Steinen zum Pool umgestaltete heiβe Quelle.

Zum Abschied: Statistik

Imo hat sich die Mühe gemacht und unsere Finanzen zusammengerechnet. Fazit: Wir haben vor allem an Unterkünften gespart dank unserer Couchsurfing-Hosts.

Mietwagen (jeweils pro Person): ca. 200 Euro für 12,5 Tage (jeweils abgezogen: der Anteil unserer Dreitages-Begleiterin Nadja)

Sprit: 125 Euro für ca. 1700 Kilometer

Unterkünfte: 67 Euro (Hotel Jökull bei Höfn, Sparangebot von booking.com und Town Square Guest House in Akureyri / beides schlicht und sauber, im Hotel inkl. Frühstück)

Couchsurfer: 7 (Vielen Dank an Valdimar, Einar, Charlie & Hope, Vicky, Gudmundur, Marek und Steinn!)

Nächte in Unterkünften: 2

Nächte im Auto: 2 (Eiskalt!)

Lebensmittel: ca. 150 Euro (in knapp zwei Wochen)

Bastis Bierausgaben: ca. 75 Euro (Halber Lebensmittelpreis! Stark.)

Am Montag geht es weiter nach Baltimore. Kiras (Danke Kira!) ehemalige Gasteltern Dave und Halina holen uns sogar vom Flughafen ab. Achja, der Hotdog: Gibt es seit 1931 unten am Hafen in Reykjavik, aus Lammfleisch immer mit langer Schlange. Tipp für Reykjavik: Cafe Stofan. Hier entsteht auch gerade auf einer der Couches dieser Beitrag. Imo wird den Sulfurgeruch nach alten Eiern nicht vermissen. Ich nicht die Bierpreise. Ansonsten: unbedingt Island besuchen.

Leserfrage! Diesmal von Michael F. aus G.:

Lieber Bastian, ein Arbeitskollege hat mir erzählt, dass über die Hälfte der Isländer, auch der Erwachsenen, an die Existenz von Elfen glaubt. Beim städtischen Straβenbauamt von Reykjavik muss es sogar eine Elfenbeauftragte geben, die Straβen so plant, dass diese nicht durch potenzielle Elfengebiete führen. Stimmt das?

Lieber Michael, ich habe leider keine aussagekräftige Statistik gefunden, deswegen habe ich Isländer befragt. Gudmundur glaubt an die Existenz von Elfen. Er hat die Geschichte vom monatelangen Hickhack um einen Stein, eine potenzielle Elfenkirche, erzählt und wie in regelmäβigen Abständen Bauprojekte zum Erliegen kommen, weil Elfen die Tanks der Baumaschinen randvoll mit Sand befüllen. Auch der Spiegel hat schon darüber berichtet. Darin kommt auch die Elfenvertraute vor, die in tagelangen Sitzungen den Elfen einen Deal vorschlägt, dass der Stein verlegt werden darf. Was der Staat dafür abdrücken muss? Darüber schweigt sich die Regierung aus. Wahrscheinlich wertvolles Bier oder Brandopfer. In Reykjavik ist man skeptischer. Ymir und Steinn sagen, das sei Quatsch. Ich glaube, dass das ganz gut mit Weihnachtshaus-Benedikts Theorien zu den Weihnachtsbuben zusammenpasst. Er meint, dass arme Tagediebe die Geschichten erfunden haben, wenn sie dem Arbeitgeber, dem Bauern den Skyr stibitzt haben. Das hat sich irgendwie gehalten. In Deutschland scheitern Verkehrsprojekte bekanntlich nicht an aufmüpfigen Elfen, sondern an Alexander Dobrindt. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen.

(Dear Icelandic guys, sorry for the wrong writing of your names and the places. I am still searching for the fonts on the tablet…)

In Akranes am Hafen steht noch ein altes Schiffswrack zum Klettern.

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