Späte Rückkehr: Weltraumschimpanse landet in Tijuana

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​Seit ich in Mexiko bin, höre ich mich so an, als müsste ich für Andreas Spechtls nächstes Ja, Panik-Album Feldforschung betreiben. Ein babylonisch-globalisiertes Sprachenmischmasch in feinstem Spenglisch-Deutsch. Wo ist eigentlich Esperanto geblieben? Und was hat es mit diesem Affen im Logo auf sich? Sind die Straβen hier gefährlicher als die Stimmung in Dorfdiskos, wenn um 3 Uhr das Licht angeht? Episoden zwischen Kulmbach und Bayreuth, San Diego und La Paz.

Auf der Suche nach dem Weltraumschimpansen

Ich habe anfangs geglaubt, dass Cipi, mein Mitbewohner in Kassel, ein seltsames Spiel treibt. Als ich meinen ersten Studienort verlassen habe, war ich mir nicht mehr sicher. Schimpusius W. Panse hat mit uns gelebt, seine eigenen, teilweise grenzwertigen Vorstellungen von der Welt da drauβen vertreten und wenn er nichts Besseres zu tun hatte, soll er sich mit Roland Koch auf ein Bier im Billardeck verabredet haben. Schimpusius war Teil der WG, ein zynischer Beobachter unseres Lebens.

Ich habe nie darüber nachgedacht, mir auch einen Affen anzuschaffen. Aber als ich vor etwa acht Jahren meinen letzten Zug von Kulmbach nach Hause verpasst habe und meine Nacht auf dem (beheizten!) Fuβboden der barrierefreien Toilette verbracht habe, war der Weltraumschimpanse so plötzlich bei mir, wie er vier Jahre später wieder verschwunden ist. Nachdem mich die Putzfrau charmant geweckt hat und ich realisiert habe, dass der nächste Zug sich Zeit lässt, habe ich mich in den Bahnhof gesetzt. Gegenüber: der Greifarmautomat. Zwischen dem typischen Greifarmautomatenramsch sitzt der Schimpanse im Weltraumanzug, Blick in meine Richtung. Ich zähle mein Geld. Etwa 1,20 Euro in zu kleinen Münzen. Der Bäcker wechselt das Kleingeld zu einem Euro, ich erkläre ihm, dass ich einen Affen befreien muss und es passiert genau das, was wahrscheinlich nur einmal im Leben eintritt: Der Greifarm greift für einen Augenblick so fest zu, wie man es von ihm wünscht, aber nie erlebt. Der kurze Moment der mechanischen Härte – ich habe einmal gelesen in einem von 200 Fällen – reicht aus, dass der Affe ein Stück durch den Glaskasten schwebt, sich vom Rüssel eines grellkolorierten Elefanten abrollt und im Ausgabefach landet. Der Bäcker, der mir unauffällig gefolgt ist, applaudiert.

Seitdem hat mich der Affe auf meinen Reisen begleitet. Zweimal ist er verschwunden und wieder zurückgekommen – auf dem Weg zum Lusen und einmal nach einem kurzen Spielsuchtsanfall saβ er nach einer Woche immer noch am Spielautomat in der Bahnhofskneipe. Wenn mich Leute im Bayerischen Wald oder sonstwo fragten, was der Affe bei mir mache, habe ich geantwortet, dass er mich immer daran erinnere, dass er gar nicht so weit her ist mit den Menschen. Immer schön affig bleiben.

Bei einer morgendlichen Busfahrt durch Bayreuth ist er endgültig untergetaucht. Er hatte offensichtlich das Maskottchendasein für die Indie-Party in Bayreuth satt, was weiβ ich. Meine Reisen waren nicht experimenell genug. Er blieb im Bus zurück, ich stieg aus. Nächste Haltestelle: Mars. Auch das Bayreuther Nahverkehrsunternehmen konnte mir nicht weiterhelfen. Auf meine Frage an den BVB, ob sie einen Schimpansen im roten Weltraumanzug gefunden hätten, antwortete das Unternehmen mit einem Smiley. Dann war es vorbei. Meine Reisen bestritt ich künftig allein oder mit Timo als adäquaten Ersatz. Nach und nach verschwanden viele der Greifarmautomaten und auch im Internet war kein vergleichbarer Affe zu finden. Bis Tijuana.

Muchas gracias, Rebecca! El mono ha vuelto.

Rebecca hat mir am Freitag dieses Bild geschickt. Ihr hat meine Affengeschichte gefallen und sie kann offensichtlich besser recherchieren als ich. Jedenfalls hat sie jetzt den Weltraumschimpansen, nach dem ich auf der ganzen Welt suchen wollte – jaja, deshalb globalmonkey! – und die beiden sind 1500 Kilometer von mir in La Paz entfernt. Wird sich die Reunion wohl etwas verspäten.

Wie gefährlich lebe ich in Mexiko?

Sicher, die Nachrichten in den vergangenen Wochen aus Mexiko lieβen auch mich nicht ganz kalt. Zwei Radfahrer, ein Deutscher und ein Pole, wurden in Chiapas, im Süden des mexikanischen Festlandes, offensichtlich kaltblütig hingerichtet. Erschreckend und im Einklang mit vielen Geschichten, die ich in Mexiko von Einheimischen erzählt bekommen haben, ist der folgende Teil der Geschichte: Mexikanische Behörden und die Polizei haben den Vorfall erst als Unfall abgetan, berichten diverse Zeitungen und Nachrichtenagenturen. Erst als ein Redakteur aus Chiapas auf den Vorfall Ende April aufmerksam geworden ist und sich herausstellte, dass Kopfschuss und Kopfab nichts mit einem Unfall zu tun haben, kam die Geschichte ans Licht.

Ich kenne diverse Vorfälle nur aus Erzählungen. Chiapas, berichten mir die Couchsurfer und Zufallsbekanntschaften in La Paz, ist geprägt von Armut, dem teils bewaffneten Kampf der Zapatisten für die Rechte der indigenen Bevölkerung und Machenschaften der Drogenkartelle. Gefährliche Mischung. Hinzu kommt, dass ausnahmslose alle Mexikaner, die mir begegnet sind, weder der Regierung noch der Polizei vertrauen. Auch die bevorstehende Wahl ist in den Augen der meisten eine Farce oder die Kunst sich für das geringere Übel zu entscheiden, berichten mir unabhängig die Menschen in Tijuana und La Paz. Der Taxifahrer, der vor einem Jahr mit eigenen Augen gesehen hat, wie der Drogenkrieg in La Paz tobte – aufgeknüpfte Dealer an Brücken haben den Tag eingeläutet – stellt mir die Frage, wie ich mich als mexikanischer Polizist entscheiden würde: Korruption oder Tod?

In den Straβen von Tijuana.

Und dennoch ist nur der Taxifahrer wirklich von den Vorfällen verängstigt. Die meisten meiner Bekanntschaften sind nur indirekt von den Problemen betroffen. Ein Polizist, der mal schnell ein paar Peso verdienen will, kommt im nächtlichen Groβstadtdschungel schon mal vor. Ohne eigenes Auto, an dem sich ein Verstoβ finden oder manipulieren lässt, lebt es sich sicherer. Auch die Drogenkartelle tragen ihre Fehden meist nur unter sich aus – zumindest in Baja California. Touristen und die Zivilbevölkerung bleiben gröβtenteils von den Übergriffen der Unterwelt verschont.

Das sagt auch die Unterwelt. Auf unseren Nachhauseweg zu Rebecca begegnen Couchsurfer Sebastian und mir in einer Seitengasse Tijuanas Carrera, Armando und Rocko. Amadeo lebt in dem Zelt vor Carreras Haus. Aus irgendeinem Grund, Armando fragt nach Geld, kommen wir ins Gespräch, trinken ein Bier zusammen und die drei beginnen ihre Geschichten zu erzählen. Carrera deutet an, dass er sich in der Unterwelt auskennt und auch ein bisschen was zu sagen hat. Er wirkt wie der Beschützer der beiden anderen und seiner Familie, die auf der anderen Seite der Mauer das Abendessen zubereiten. Armando hat das Leben böse mitgespielt. Verfeindete Schuhputzer haben ihm seinen Stand zerstört und ihm gedroht. Rocko erklärt frei heraus, dass er normalerweise Typen wie uns ausnimmt. In den vergangenen zwei Monaten seien 33 seiner Freunde in den Straβengangs ums Leben gekommen. Zahlen lassen sich in diesem Zusammenhang nur schwer nachprüfen, aber die drei wirken authentisch. Vor allem Rocko lebt Tag für Tag mit dem Tod. Nicht nur auf der Straβe, er betet ihn auch an. Carrera bittet und seine Wohnung und zeigt uns Rockos Schrein. Santa Muerte, der heilige Tod. In Blau und Schwarz leuchten die Totenköpfe unter ihren Kapuzen hervor. Angsteinflöβend und kitschig. Rocko, Carrera und Amadeo sagen uns, dass wir nun Freunde seien: Me casa e su casa.  Sie erklären uns, wo wir uns als Touristen besser nicht aufhalten sollten. Rocko mache das ja auch nur, weil er keine andere Möglichkeit sehe, Geld zu verdienen. Wer die Lizenz zum Abzocken haben will, müsse Polizist odere Politiker werden, sagt Carrera. Vorsichtig müssten wir trotz seiner Tipps sein. Die junge Frau, die plötzlich im kurzen Rock vor Carreras Haus auftaucht, habe eher schlechte Absichten. Carrera schickt Armando vor, um uns bis an Rebeccas Tür zu begleiten.

Es sind eine ganze Reihe Tipps, die mir meine neuen Bekanntschaften mit auf dem Weg geben: Vertraue nicht jedem. Klar. Mein Bargeld möglichst an drei unterschiedlichen Stellen aufbewahren. Das führt dann zu solchen Situationen wie im Supermarkt von Tijuana. Ich entschuldige mich noch bei der Kassiererin, Rebecca und Sebastian, bevor ich meinen Schuh ausziehe und die fehlenden Peso für Getränke und Essen unter der Einlage hervorziehe. Geld stinkt doch. Weiterer Tipp: Bloβ nicht die Angebote auf der Straβe annehmen. In Tijuana läuft Sebastian und mir ein Restaurantbesitzer hinterher, der uns erst Essen, dann Bier anbietet. Als er erkennt, dass wir Deutsche sind, erweitert er seine Angebotspalette: Rammstein und nackte Frauen. Ich erkläre ihm mit einem Blick auf meine unsichtbare Armbanduhr, dass 13 Uhr deutlich zu früh für Rammstein und nackte Frauen sei. Ein Tipp erinnert mich an meine Kindheit: Keine Bonbons von fremden Busreisenden annehmen. Adrian aus Guadalajara erzählt mir die Geschichte einer Frau, die mit einem Schlaftabletten-Bonbon im Fernstreckenbus betäubt wurde. Nach der Fahrt war ihr Hab und Gut weg. Den Ratschlag habe ich schon immer genauestens befolgt. Selbst vor den Nachbarn bin ich weggerannt, wenn sie mir Duplo zustecken wollen. Kein Problem.

Aber wie gesagt: Es sind bislang alles nur Geschichten. Ich habe auf dem Weg (fast) ausschlieβlich gute Erfahrungen gemacht. In La Paz konnte ich bei den lieben Couchsurfing-Hosts Esther, Montse und Karen endlich einmal abschalten. Am Montag geht die Reise weiter: mit der Fähre von La Paz nach Topolobampo und mit dem Zug „El Chepe“ weiter durch die Berge nach Chihuahua. Für die Fahrt habe ich ein paar Ricola eingepackt. La Paz und das Umland in Baja California Sur waren atemberaubend. Ich bin mit Seelöwen geschwommen, die meine Schwimmtechnik „Frosch, grobmotorisch“ beeindruckend fanden; die Delfine waren zu schnell vor der Insel „Isla de Espiritu Sancto“. Wale tauchten neben unserem Boot auf und der Sonnenuntergang von Cabo Pulmo, die Nacht unter dem Sternenhimmel am Meer war schon fast kitschig schön, wenn es so etwas in der Natur gäbe. Also Kitsch. Die Tage sind mir allerdings zu heiβ. Temperatur-Lebensrekord: 43,5 Grad (Celsius!) auf der Fahrt von Cabo Pulmo zurück nach La Paz. (Nach den Bilder: Leserfrage!)

Es ist absolute Wal-Nebensaison im Golf von Cortes. Drei Buckelwale sind uns ungeachtet dessen über den Weg geschwommen.
Abhängen: die Seelöwen nach der Schwimmeinheit. Sinnbildlich für mein Leben in La Paz.
Melissa, Adrian, Karen und Fabio am gefährlichen Strand von Todos Santos.

Leserfrage! Diesmal von Christian K. aus N., der heute hoffentlich so lange den Pokalsieg der SGE feiert, dass er morgen in Mexiko aufwacht. Glückwunsch!

„Drücken die Mexikaner den beiden Eintracht-Muchachos Carlos Salcedo und Marco Fabian die Daumen oder gibt es sogar in Mexiko verfluchte Bayern-Fans?“

Adrian aus Guadalajara ist wahrscheinlich der Mensch mit dem gröβten Fuβballsachverstand, den ich in Mexiko getroffen habe. Kurz nachdem er mir erklärt, dass der Torwart von Leverkusen Leno heiβt – ist mir in der Hitze mal so entschwunden – beantwortet er Christians Frage mit einer schwankenden, ausgestreckten Hand. Er sieht in beiden Potenzial, aber sie sind nicht konstant. Divenhafte Spieler mit Stimmungswechseln. Frankfurt kennt er und wahrscheinlich feiert er heute Nacht auch den Pokalsieg. Tatsächlich haben sie am Sonntag einen Trailer zum deutschen Pokalfinale im Fernsehen gezeigt. Man kennt sich aus. Auf der Straβe begegnen einen gleichermaβen ab und zu Menschen in Bayern- und Dortmund-Trikots. Die SGE war nocht nicht dabei. Das ändert sich nach dem Pokalfinale mit Sicherheit. Ansonsten drücken die Mexikaner zur WM überwiegend Mexiko die Daumen.

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