Aufzeichnungen aus dem Kellerloch // #3

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Das Telefon schellt und ich bin Keller: Wie die Kulmbacher Oberbürgermeisterwahl Corona verdrängt, wie Videocalls meinen Alkoholkonsum steuern und die Frage, warum in Deutschland weniger gestorben wird, als in anderen Ländern. Das Quarantäne-Tagebuch, dritter Teil.

Von der Wahl um den Posten des Oberbürgermeisters in Kulmbach kann man einiges lernen. Erstens: Es kann immer schlimmer kommen. Zweitens: Die schlimmsten Unfälle passieren im eigenen Haushalt. Ich will nicht näher darauf eingehen, was alles schief gelaufen ist, dass der Amtsinhaber Henry Schramm von der CSU seinen Posten am Ende verloren hat. Ich will an dieser Stelle nur erwähnen, dass es vom lokalen Radiosender „Radio Plassenburg“ zynisch wie unterhaltsam ist, in dem Moment, als sich die Niederlage des von manchen Kulmbachern als etwas zu selbstherrlich beschriebenen Oberbürgermeisters abzeichnete, den Song „Waiting for a star to fall“ der Band Boy Meets Girl zu spielen. Ich weiß nicht, ob das nur ein Zufall war, aber: Hut ab vor dem DJ.

Es ist ja so: Die Posse um die Wahl des Kulmbacher Oberbürgermeisters mit einem Kripo-Einsatz am Ende und andauernden Ermittlungen gegen zwei Rathausmitarbeiter hat den sonst von der Pandemie bestimmten Alltag aufgebrochen. Für einen Abend war das Virus in unseren Videochat-Gruppen nur noch an eine Randerscheinung und allein die Tatsache, dass wir zu viert in einem Videochat Bier trinken, erinnert an jene besonderen Umstände. Form: Corona. Inhalt: Kommunalwahl als Farce.

Ein Bier unter Freunden: Neuerdings steuert der Videocall meinen Bierkonsum.

Ich hab gemerkt, dass man mit Videochats vorsichtig sein muss. Ein paar Freunde aus Nürnberg und Kulmbach treffen sich regelmäßig auf ein Herrengedeck bei Facebook. Ich war zum ersten Mal dabei. Nach etwa drei Stunden hatte ich einen sitzen. Jetzt lässt sich natürlich darüber streiten, ob ich in dem Fall allein getrunken habe, weil ich mit niemand in der analogen Welt beim Trinken geredet habe oder ob ich nicht gegen die eiserne Regel diverser Schreiben der Suchtberatung verstoßen habe, weil ja viele Menschen zur gleichen Zeit in unterschiedlichen Räumen getrunken haben. Je nachdem, wie die Verbindung gerade war, die Kinder durchgeschlafen, die Vorräte ausgereicht haben, verbringt man den Abend mit mehreren Menschen in einen virtuellen Raum und trinkt. Das Argument „Irgendwo trinkt ja einer auf der Welt, deswegen darf ich das auch“ ist gefährlich und sollte nicht zählen, solange man sich nicht in einem Chatroom befindet.

Ich werde die Gefahr des Videocall-Alkoholismus jedenfalls umgehen, indem ich eine Fastenkur starte. Die Info kam in meiner Trinkergruppe nicht gut an. Einer hat gesagt, dass es das Allerletzte sei, sich neben Corona und Ausgangsbeschränkung auch noch selbst zu geißeln. Falls jemand mit mir Fasten will, können wir auch unseren eigenen Videochat gründen. Form: Corona. Inhalt: Bier als Farce.

Auch mein Bruder David kann nicht mehr so einfach das Pferd satteln wie früher. Die Bilder stammen übrigens aus einem Dia-Abend mit meinen Eltern.

Sonntagabend, kurz nach der Kommunalwahl, hat mich das Virus wieder eingeholt. Ich hab erfahren, dass eine befreundete Familie daran erkrankt ist. Dem Vater geht es gut, das Kind spürt nichts, nur meine Freundin, der ich versprochen habe sie zu anonymisieren, hat wechselhafte Symptome, erzählt sie mir bei WhatsApp. Sie ist glücklich darüber, dass sie einen Garten haben. Es sei „echt nochmal was anderes, nicht rauszuDÜRFEN“, schreibt sie. Das mit dem Symptomen sei total verrückt. Sie tauchen auf und verschwinden wieder. Doch auch die einengende Quaräntezeit geht zu Ende. Ihr Mann darf am Mittwoch, sie am Freitag und ihr Kind am 8. April wieder das Haus verlassen.

Ein Felsen, der tatsächlich nicht nur so heißt, sondern wirklich wie ein Affenkopf aussieht – aus der Reihe: Wanderungen durch die Gegenden.

Ich hab mir in den vergangenen Tagen wie so viele Menschen in Europa die Frage gestellt, warum in Italien und Spanien mehr Menschen sterben als in Deutschland. Dazu habe ich mir verschiedene Artikel, unter anderem aus der Süddeutschen Zeitung, und den Podcast vom Charité-Virologen Christian Drosten auf NDR angehört. Eine Tatsache scheint gesichert zu sein: In Deutschland haben sich mehr junge Menschen als zum Beispiel in Italien infiziert. Christian Drosten hat heute im Interview sogar davon gesprochen, dass der Median der Infizierten in Italien kurzzeitig bei 81 Jahren lag, was auch für ihn schwer nachzuvollziehen sei, weil sich dann eine respektable Masse über Hundertjähriger infiziert haben müsse. Aber soweit die Statistik. Der Virologe hat auch erzählt, dass es Glück sei, dass vor allem junge und sportlich aktive Menschen nach Italien und Österreich zum Skifahren gehen, die – und jetzt wird es interessant – auch nach ihrer Rückkehr vor allem in ihrer Altersklasse verkehren.

Genau das habe ich mir vor wenigen Tagen bereits gedacht: In Deutschland hat man die Senioren über 65 schon vor Corona isoliert. Das beweist auch eine EU-Statistik aus dem Jahr 2015, die veranschaulicht, dass in Italien und Spanien die wenigsten alten Menschen alleine leben. Deutschland liegt demnach im Mittelfeld und Norwegen hat die meisten allein lebenden Senioren. Wahrscheinlich ist auch die Quote der Senioren in Altersheimen in Deutschland höher, als in anderen EU-Staaten. Das lässt sich allerdings nicht aus der Statistik herauslesen, das ist nur meine Vermutung. Sicher kommen noch andere Faktoren hinzu, aber die Isolation der Senioren, raus aus den jungen Familien, hat bemerkenswert wenig mediale Aufmerksamkeit erhalten.

Music for quarantine // Playlist on Instagram (Bsuenkel)
        • Tag 1: Klez.E – „Desintegration“
        • Tag 2: House Party – „Adventure times“
        • Tag 3: Get Well Soon – „Love“
        • Tag 4: Beirut – „Gulag Orkestar“
        • Tag 5: Tocotronic – „Digital ist besser“
        • Tag 6: Eels – „Beautiful freak“ (Song: „Novocaine for the soul“)
        • Tag 7: New Order – „Blue Monday“

 

 

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