Landung und Abflug aus den USA: Doppelter Abschied und ein Ticket in den Westen

Spread the love

​Am Proteinmangel kann es nicht gelegen haben: Mit Tüten voller Trockenfleisch reise ich weiter nach New York. Die ersten Tage USA haben mir eine harte Entscheidung für die weitere Reise abgerungen. Der Flug ist gebucht…

Zum Abschied legt Halina zwei Plastiktüten auf den Tisch. Ein Pfund Trockenfleisch vom Rind, ein Pfund Trockenfleisch vom Schwein. Ich sehe nicht so aus, als würde ich vom Fleisch fallen. Nicht einmal ansatzweise. Aber auf Reisen sei das wichtig, sagt Halina und fährt Imo und mich Minuten später an die Metro-Station Medical Health Center. Mit Schwein im groβen und Rind im kleinen Rucksack steige ich in den Megabus nach New York City und erinnere mich dunkel an die Landung am Montagabend in Baltimore. Imo und ich waren, als wir am Ausgang 17 des Flughafens standen, schon etwa 15 Stunden wach. Wir hatten noch ein 125-Gramm-Packung Nüsschen aus Island im Handgepäck und  kurz überlegt, ob wir den Sicherheitsleuten davon erzählen müssen, dass wir Islandpferde gestreichelt haben. Hat dann doch niemand interessiert. Zehn Fingerabdrücke später passieren wir das Land, dass wir beide besser kennen als jedes andere auf der Welt. Das mit seiner Kulturpeitsche bei uns Neunzigerjahre-Kids keine Zweifel aufkommen lieβ, wer gut und wer böse ist. Am Ende gewinnt immer die Freiheit. Die Freiheit liegt im Westen. Der Osten ist gefährlich, kollektivistisch, plant heimlich die Welt abwechselnd mit Satelliten, Atombomben und Gehirnwäsche zu entvölkern. Die Vereinigten Staaten sind frei. Gröβer, schneller, besser als jedes andere Land. Das Kilo Trockenfleisch erinnert mich daran. Keine Doktrin habe ich mehr verinnerlicht als die der Freiheit. Und trotzdem habe ich schon viele Jahre vor meiner Landung auf amerikanischen Boden Zweifel. Die Freiheit scheint doch schon stark durch Faktoren Geld, Macht, Wissen beeinträchtigt zu sein. Nach vier Tagen Washington DC glaube ich nicht mehr daran in den USA die Freiheit zu finden, nach der ich gesucht habe.

Washington Mall an einem isländischen Dienstag im April: ein Blick vom Capitol zum Washington Monument.

Nie haben wir uns sicherer und wohlbehüteter gefühlt als die vergangenen vier Tage bei Halina und Dave in Bethesda. Aber auch meine Zweifel waren nie mächtiger. Dass auf Island nicht wirklich das Gefühl der Entscheidungsfreiheit aufkommen konnte, war im Voraus klar. Der Flug in die USA war längst gebucht und wir hatten zwei Wochen Zeit für die Runde um die Insel. Unerwarteterweise lieβ sich an einigen Ecken der Geist einfangen, den ich auf dieser Reise suche. Menschen, die sich von den Faktoren angekoppelt haben oder immerhin versuchen, ein Leben abseits ausgetretener Pfade zu führen. Orte, an denen du bleibst, weil du dich wohlfühlst und die Tasche packst, bevor sich die Stimmung ändert. In den USA bist du ein Autoreisender oder ein Flugzeugpassagier. Trampen, sind sich Blogger einig, ist hier anstrengend bis aussichtlos. Busse durch das Niemandsland des Nordens spärlich. Amtrak übertrifft bisweilen den bahncardlosen Trip mit der Deutschen Bahn. Dazu ständig dieses Gefühl, das ich am falschen Ort gelandet bin. Was also tun?

Abflug. Imo und ich haben für Dienstag einen günstigen Flug gebucht. Von NYC nach LA. Von Ost nach West. Über alles hinweg, was wir eigentlich erkunden wollten. Kein Yellowstone und keine Badlands. Ungesehener Osten Kanadas, keine Szenemetropolen im Nordwesten. In  LA bleibe ich zwei Nächte, in San Diego auch und danach bin ich in Mexiko und weiter auf den Weg nach Süden. Und Imo? Schlägt eine andere Richtung ein. Sie will Hawaii sehen und damit ist der Zeitpunkt weit früher eingetreten, getrennte Wege zu gehen. Ohne Streit, aber um die Erkenntnis reicher, dass Freundschaft nicht den gleichen Himmelsrichtungen folgen muss.

Dave hat mir mit auf den Weg gegeben, mich in Tijuana nicht von hinten niederknüppeln zu lassen. Er arbeitet bei der Army und hilft Veteranenfamilien dabei, Krisenzeiten zu überwinden und mit psychischen Belastungssyndromen und amputierten Gliedmaβen umgehen zu können. Am Mittwoch haben wir die Taktik der Union und der Konföderation bei der Schlacht von Gettysburg auf einem Handzettel studiert. Bei Dave und Halina hatte ich in jenen Momenten ein starkes Gefühl der Sicherheit verbunden mit der Tatsache über Dinge zu reden, von denen ich keine Ahnung habe, so etwas wie Welterfahrung zu gewinnen. Ansonsten hat Washington DC für mich allzu viele Klischees bedient, vielleicht wusste ich aber auch einfach zu viel von diesem fernen Land, das jeden Tag im Fernsehen zu sehen ist.

Auf der Washington Mall zwischen Capitol und Washington Memorial spielen sich Szenen ab, wie ich sie ungesehen hätte zeichnen können. Die Striche werden dann deutlicher, wenn man das National History Museum besucht. Kriegsabteilung. Schulklassen- und Familienvormittag. Die Gruppe Jungs veranstaltet eine Jagd durch den Zeitstrahl der glühenden Gewehrläufe. Engländer. Peng! Südstaatler. Peng! Hitler. „Der schmort in der Hölle“, stellt eine etwa Zehnjärige fest. Vietnam, Fernsehkrieg. Afghanistan und Irak sind schlieβlich nur noch zwei Schautafeln. Es kennt auch niemand den Ausgang. Einer ist in Sandtarn erschienen, die Familie in blau-roten T-Shirt-Uniformen, der angsteinflöβende Riese mit frisch geschortener Glatze, Henriquatrebart, Stars-and-Stripes-Pulli und bunt verspiegelter Sonnenbrille. Amerika trägt seinen Stolz am Oberkörper nach auβen. Nordamerika war in Vorpilgerzeiten von den „Indians“ „occupied“ – einer These, der das Indian American Museum diagonal gegenüber offen widerspricht. Am Ein- und Ausgang läuft man an goldenen Buchstaben vorüber: „The price for freedom. Americans at war.“ Am installierten Präsidenten-Rednerpult kappeln sich drei Schüler um den Platz im Spotlight. Shut up. You are a liar. Fake news. Der lauteste gewinnt.

Und dann diese Nadelstiche. Janet aus dem Smithsonian-Museum, die wir zusammen mit dem Belgier am Dienstagmorgen in der U-Bahn treffen. Janet schämt sich für den Präsidenten, dessen Namen ausnahmsweise in diesem Artikel nicht genannt wird. Mein kleiner Protest der Übermedialisierung. Sogar auf Island begann meistens die zweite Meldung in den Radionachrichten mit „Washington“. Janet empfiehlt uns aber auch aufs Land zu gehen. Dort sind die Wähler. Nicht hier in DC, wirft der Belgier ein, der seit 30 Jahren in Washington lebt. Nur drei Prozent stimmten damals für den Kandidaten der Republikaner. Die Fremdenführerin im Capitol beendet eine Frage, die sich auf Barbara Bush und nicht auf den Präsidenten bezieht mit den Worten: „Aber in diesen Zeiten ist ja alles denkbar.“ Und in einer Frage sind sich dann doch alle einige, egal für wen sie bei der Wahl gestimmt haben: Eine Alternative zu Hillary (öfters mit den Beisatz: auβer den Kommunisten Sanders!) und die Wahl wäre anders ausgegangen.

Capitol with cherry blossoms, girlie, pink. Erhältlich im Fanshop IM Capitol.

Es ist aber nicht der Präsident, der in DC meine Gedanken umtreibt. Imo und ich haben auch eine Stunde lang eine Senatssitzung von der Gallerie aus verfolgt. Die Empore erreicht man nach einem Sicherheitscheck alla Flughafenhalle, einer Passkontrolle, der Sicherheitsgarderobe (Any keys? Lighter? Electronics? No rucksack! Undsofort.), einem Erinnerung an die Sicherheitsgarderobe beim Anstehen (Keys?! Undsoweiter.), einmal Taschenfilzen mit Körperscan. Dann ist man drin. Unten erzählt ein recht gebrechlich wirkender Mann Anekdoten über Barbara Bush. Einmal soll George sen. sie vor einer Bankettsrede zu Rate gezogen haben. „About what“ er dem Publikum etwas erzählen soll. Barbara soll geantwortet haben: „About five minutes.“ Herrlich. Nur hört niemand zu. Der Senat ist leergefegt. Nur ein vergleichbar alter Herr sitzt neben dem Senator in den Parlamentsreihen. Vorne die 17-jährigen Pagen, die später die Türen öffnen und schlieβen, wenn die Senatoren zur Abstimmung über den neuen Staatssekretär für Erziehung nach und nach den Raum betreten. Im Zentrum die Parlamentsvorsitzenden und   die Beamten. Ein etwa vierjähriges Mädchen fragt hinter uns ihre Mutter: What is public education? Keine einfache Frage, keine schnelle Antwort. Mom schickt Dad herein, der noch vor der Tür wartet. Die Wählerin der Zukunft reagiert trotzig auf die ausstehende Antwort. Eine junge Touristin führt neben uns leise Selbstgespräche und wundert sich offen gegenüber dem Sicherheitsmann auf der Gallerie über das Abstimmungssystem. Nach und nach träufeln fast ausschlieβlich weiβe, gröβtenteils gealterte Politiker und einige wenige überkostümierte Politikerinnen aus allen Staaten in den Raum, heben und senken Finger, klopfen sich auf die Schulter, schauen auf dem Pult nach, über was sie abstimmen.

Diese Szenen gepaart mit meinem unruhigen Leben haben mich kurzzeitig desillusioniert. Ich kann nicht vor mir und der Gegenwart flüchten, hat mir die Hauptstadt mit mächtigen Nachdruck verdeutlicht. Früher hatten die USA und ich noch Visionen von der Zukunft, hatten zwar ganz und gar unterschiedliche Ansätze für ein glückliches Leben, aber immerhin ein Versprechen an sich selbst und ihr Umfeld gegeben. Der USA sind die Visionen ausgegangen. In diesen Tagen twittert und brüllt sich der Präsident die Illusion eines längst überholten Heilsversprechens aus dem Leib, an das kein Tellerwäscher mehr glaubt. Doch es folgt nichts. Der Bruch klafft zu weit, eine Leerstelle breitet sich aus. Rückzug nach innen statt neuen Botschaften in den Fernsehsendern weltweit. Und auch ich spüre diese Leerstelle in mir, die gefüllt werden will. Mit was auch immer. Aber erst einmal mit einem schnellen Abschied nach Mexiko.

(Thank you Halina, Dave and Matthew! We felt very comfortable at your place. We hope we can someday give something back to you. And DC has been a better place for me and Imo as this examples: the National Gallery, the Indian American Museum, the park before the archive and of course The Big Hunt, Impala and your beautiful house. We are looking forward to your visit in Germany!)

Leserfrage: Gibtˋs diesmal nicht! Keine Frage, keine Antwort. Wenn ihr etwas über meine nächsten Ziele NYC, LA, San Diego und Tijuana wissen wollt, schreibt mir eine Nachricht!

Landeanflug, roter Teppich, Stillstehen und wieder zurück: Während der Präsident in Florida weilt, übt die Equipage Empfänge im Weiβen Haus.

Eine Antwort auf „Landung und Abflug aus den USA: Doppelter Abschied und ein Ticket in den Westen“

  1. Ich wünsche euch weiterhin eine schöne und erlebnisreiche Reise.
    @Basti: Ich bin gespannt auf deine Zeilen über Mexiko ?
    @Imo: Lass es dir gut gehen auf Hawaii ???

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert