Uno, dos, tres: 1.456 Kilometer Zufallsbegegnungen in Baja California

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Wenn Mutti schon nachfragt, wird es Zeit für einen neuen Blog-Eintrag. Auf 1500 Kilometer Daumenstrecken in Mexiko: von Grenzerfahrungen und einer Nacht in der Wüste.

Ich fange mal am Ende an. Als vor mir, den Fahrer eines angezählten Ford Pickups, die Militärs auftauchen, schläft der Typ, der mich Stunden vorher am Straβenrand in Mulege aufgelesen hat, auf dem Beifahrersitz. Der Kontrollpunkt liegt hinter einer Kurven der Mex1, mitten in der Sierra des Baja California Sur. Innerlich gehe ich noch einmal alle Vokabeln durch, die ich fehlerfrei auf Spanisch sagen kann. Wenn die Soldaten mich anhalten, kann ich ihnen einwandfrei erklären, dass ich Bastian heiβe, dass ich Deutscher bin, dass ich einen Apfel esse und ich kann ihnen die Zahlen von 1 bis 15 aufsagen. Uno, dos, tres,… Irritiert stoβe ich meinen Sitznachbarn an und sage irgendetwas von „Militaria“. Er räuspert sich, sieht die Wachtposten und deutet mit dem Zeigefinger mehrmals in Fahrtrichtung. Sandfarben stehen die mexikanischen Soldaten in der Gegenfahrbahn und bewegen sich so wenig wie die Kakteen, die uns die letzten 150 Kilometer den Weg nach links und rechts abzäunten. Einfach weiterfahren. So einfach. Er schläft wieder ein. Ich fahre weiter.

Dank Israel hatte ich plötzlich einen Stift und ein Schild. Der Daumen durfte trotzdem noch herhalten.

Das war das erste Mal auf meiner Tramp-Tour über 1456 Kilometer entlang des mexikanisch-kalifornischen Zipfels an einer Militärkontrolle der Fall, dass uns niemand angehalten hat. Fünf Tage zuvor bin ich in Rosarito nach einer Couchsurfer-Party bei Oskar auf meinen Trip verabschiedet worden. Bei der ersten Kontrolle mit Rick haben sie mich nur eines dürftigen Blickes gewürdigt. Ich saβ auf dem Beifahrersitz und nuschelte spanische Zahlen vor mich hin. Uno, dos, tres… Die zweite Kontrolle fiel schon nervenzehrender aus. Ein Pärchen hat mich kurzerhand nach zweieinhalb Stunden am an einer Tankstelle auf die Ladefläche ihres Pickups gepackt und mich als Carry-On abtransportiert. Der Soldat musterte mich skeptisch, stellt eine Frage, die ich nicht verstanden habe, ich aber offensichtlich zufriedenstellend mit „Aleman“, „Deutscher“, beantworte und meinen Reisepass zücke. Als er auf meinen Rucksack zeigt, zeige ich ihm meine Jacke. Only clothes, was nicht ganz stimmt. Er winkt ab, wir fahren weiter.

Rick zeigt mir sein Reich: Die Rallye hat ihren Ursprung in Baja California berichtet er.

An der ersten Station von Rosarito nach Ensenada warte ich ganze fünf Minuten bis Carlos stoppt. Er setzt mich vor dem Hostel ab. Mit Rick geht es am nächsten Tag weiter nach San Vicente, seinem Heimatort. Er hat sich in den USA eine gute Basis für sein Leben nach der Arbeit geschaffen, sagt der 42-Jährige, der mir seine Garage mit zwei hochgerüstetn Buggys und eigenem Mechaniker zeigt. Das Leben nach der Arbeit soll bald beginnen und er nimmt mich mit, weil er in uns beide Abenteurer sieht. Sein Heimatort sei seit seiner Kindheit ziemlich runtergekommen, erzählt er. Wo ein Bach war, ist heute Sand. Die Landwirte leiten das rare Wasser direkt an der Quelle ab. Jugendliche suchten Drogenabenteuer. Das soziale Leben lag brach. Seit Rick zurück ist, hat sich einiges verändert. Der Ort hat einen Sportplatz und ein blumengesäumtes Boulevard. Sich und seiner Familie hat er ein Haus hinter hohen Mauern gebaut, einen Steinwurf von der Garage und dem Gästehaus für seine Besucher entfernt. Wir verabschieden uns herzlich und ich fahre weiter.

Ich kann nicht alles erzählen, was in den Wochen passiert ist, seit ich beschlossen habe, meine Reise anders fortzusetzen, als sie geplant war. Das führt zu weit. Neun Fahrer liegen zwischen Rosarito und meinem Platz hier auf der Terrasse der Pension Baja Paradise. Ich kann nur knapp festhalten, dass sich mein Leben seitdem sprunghaft verändert hat und ich das Gefühl habe, alles anders wahrzunehmen und umzusetzen als zuvor. Hätte mir jemand vor ein paar Wochen erzählt, dass ich auf eigene Faust einen überdachten Schlafplatz mitten in der Wüste um das Fünf-Häuser-Nest Catavina finden würde, ich hätte mich nach seinem Alkoholpegel erkundigt. Ich hätte nur Probleme und keine Möglichkeiten gesehen. Die Konzentration auf einige wenige Dinge und auf mich, sagt der Hobby-Narzist, habe ich in der Form wahrscheinlich noch nie erlebt: Wer bringt mich raus aus der Wüste? Genug Wasser? Nächstes Ziel? Nichts könnte mir mehr helfen, als neben dem schlafenden Autobesitzer zu sitzen und nur das Ziel zu verfolgen: sicher nach La Paz.

Unvorstellbar ist vor allem, wie viele Menschen mir in der kurzen Zeit begegnet sind, denen nichts wichtiger ist, als gesellschaftlicher Entfremdung mit Begegnung und Vertrauen zu heilen. Allen voran Rebeccca, Julio und die Couchsurfer-Clique aus Tijuana. Israel und seine herzliche Familie aus Colonia Vicente Guerrero, die mir innerhalb von zehn Minuten einen Schlafplatz zugesichert haben und ich mich mit Israel bis tief in die Nacht hinein, mit Händen und Füβen, in einem Spanischenglischdeutsch-Gulasch über die mexikanischen Wahlen und seinen Traum, mit dem Motorrad nach Argentinien zu fahren, unterhalten habe. Und auf seine ganze eigene Art auch der schweigsame Ricardo, dessen Namen ich erst ganz am Ende in La Paz erfahren habe, nachdem wir sieben Stunden zusammen durch die Wüste gereist sind. Als ich ihm meinen internationalen Führerschein gezeigt habe, waren wir plötzlich ein Team. Einmal er schlafend auf dem Beifahrersitz, einmal ich. Ich bin angekommen an einem Zwischenziel, an dem ich erst einmal mindestens eine Woche mich angekommen fühlen will. Ich habe noch einige Episoden zu den Treffen mit Timo und Ba in San Diego, zu Tijuana und der Wüste im Block. Ich hoffe, dass ich sie die nächsten Tage mal hier reinbringe.

Aber bleiben wir bei Timo und damit zur Leserfrage. Timo R. und Ba fragen:
„Lieber Bastian, was ist das Unnötigste, was du bisher auf deiner Reise mitgenommen hast? Kondome?!“

Cupid & Psyche (Antonio Canova, 1794)

Das ist mir ehrlich gesagt zu intim, um das ausführlich zu beantworten. Deshalb habe ich im Metropolitan Museum ein Bild aufgenommen, das den letzten Teil eurer Frage aufgreift. Die Plastik Antonio Canovas (1794) zeigt Cupid und Psyche in eindeutiger Position. Stellt euch das Bild ohne Cupid vor und ihr könnt euch die Frage selbst beantworten. Ansonsten habe ich auch Hammer und Meiβel noch nicht gebraucht. (Ernsthaft: Komplett unnötig war bislang das Zelt.)

Eine Nach in der Wüste und trotzdem überdacht. Nein, nicht der Ghostbusters-Schlitten war mein Schlafplatz, sondern das Nathans Cafe.

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