Fünf Fäuste für ein Oaxaca

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Als Blog-Einsteiger ist es ziemlich einfach den größten aller Anfängerfehler zu begehen: nicht zu bloggen. Globalmonkey meldet sich zurück – brutaler, unvernünftiger, zerstreuter als je zuvor. Darauf einmal Klatschen – aber bitte keinen Applaus.

Leben wie eine Wildsau? Im Moment bin ich Gefangener im Paradies. Die Kreditkarte ist weg und lässt auf sich warten… Foto: Argentina Santa Cruz

Was ist nur passiert in dieser Stadt? Oaxaca wirkt in seinem Auftreten so, als könnte man Rosamunde Pilcher zur Kulisseninspektion vorbeischicken. Bunte Häuschen mit leicht abgeblätterten Farben. Kirchen mit Echt-Gold-Barock-Pomp, das aussieht wie Echt-Gold-Imitat. Stark. Eine Schönheit, die nur Zeit verleihen kann, hat Christoph Dorner über die Schrebergärten von Hoywoy geschrieben. In Oaxaca ist es ganz ähnlich. Der koloniale Glanz der Conquistadoren-Ära verkommt zu einem romantischen Gebilde, zu einem Touri-Hotspot, zu einem zeitlosen Schönheitsbrei.

Und dann das: Neben Konvent und Kirche Santo Domingo ruft an einem vereinsamten T-Shirt-Stand ein gelangweilter Mittzwanziger die Bauern zur Revolution auf, die Jugend zum Widerstand gegen den Präsidenten des nördlichen Nachbarlandes, das von Oaxaca aus ganz schön weit weg ist, und alle zusammen zur Umkehr: Schluss mit dem Kapitalismus schreit der weiße Druck von den Shirts. Ein paar Straßen weiter wird der Protest deutlicher: ohne Shirts, dafür mit Transparenten, protestieren die fünf Mitglieder der indigenen Bevölkerung gegen Landnahme durch die PRI-Regierung und auf den heimeligen Häuschen mit den Farblöchern erblickt der Passant nach und nach immer deutlicher die progressiven Street-Art-Statements, die zum Umsturz aufrufen. Im Buchladen erzählen Bildbände von den wilden Zeiten in und um Oaxaca de Juárez, den Massenprotesten, den agitativen Zivilverbänden. Klatschbummbäng.

„Grabados“ sind politischer als Tags und Graffiti. Mit klaren Parolen fordern sie Gerechtigkeit und Gleichberechtigung – auch im Fall der 43 verschwundenen Nachwuchslehrer.

An der Stelle muss ich zurückrudern. Denn das Bild, das die Stadt heute zeigt, ist schlichtweg die in die Jahre gekommene Reflektion der blutigen Straßenschlachten aus dem Jahr 2006. Die Proteste des regierungskritischen zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses APPO, der vor allem die Absetzung des unter Korruptionsverdacht stehenden PRI-Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz und faire Löhne für Lehrer forderte, mündeten in einem Staatskonflikt, der 26 Menschen das Leben kostete. Darunter der Lehrer Emilio Alonso Fabián und der US-amerikanische Journalist des Online-Nachrichtenportals Indymedia, Bradley Roland Will, die auf offener Straße erschossen wurden. Bis heute wurden die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen, resümiert Wikipedia den Konflikt.

Und 2018? Der Konflikt hat sich beruhigt. Die Lehrer protestieren immer noch regelmäßig berichten mir meine mexikanischen Bekannten. Interessant aus heutiger Perspektive ist vor allem, das einer der Unterstützer der protestierenden APPO nun Staatspräsident ist. Nach Jahrzehnten der Vorherrschaft der PRI-Partei und dem kurzen Intermezzo der konservativen PAN hat nun erstmals ein Linkspolitiker die Präsidentschaftswahlen für sich entschieden. Andrés Manuel Lopez Obrador, von allen kurz AMLO genannt, schürt Hoffnungen bei der Bevölkerung auf einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Politik. Bei anderen, wie dem venezolanischen Auswanderer und Journalist Apolinar, verbergen sich Linksruck auch Ängste. Er hofft, dass AMLO keinen radikalen Sozialismus wie die Regierung seines Heimatlandes unter Chavez und Maduro plant. Er erzählt von den Straßenschlachten, Hunger, Medizinmangel und Staatsflucht.

Kein Applaus für die Show aus Kapitalismus und Korruption. Viele Oaxaceños boykottieren die Arena der größten Fiesta der Stadt.

Interessant ist der Werdegang des Hauptakteurs in Oaxaca zu Zeiten der gewalttätigen Proteste und deren noch gewalttätigere Unterdrückung: Gouverneur Ruiz steht immer noch unter dem Verdacht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangenen zu haben, berichtet sie mexikanische Tageszeitung El Universal. Vergangene Woche bewirbt er sich dennoch um den Parteivorsitz, nachdem die PRI in der Wahl krachend gescheitert ist.

Aber überschattet wird das politische Geplänkel immer noch von einer Zahl, die quer durch Oaxaca auf den Hauswänden auftaucht: 43. Seit 2014 ist der Fall der 43 verschwundenen Studenten aus dem Nachbarstaat Guerrero ungelöst. Dass die protestierenden Grundschullehrer in Ausbildung tot sind, bezweifelt in Mexiko wahrscheinlich niemand. Auch dass das Verschwinden mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der engen Zusammenarbeit des Bürgermeisterehepaars von Iguala mit den Narcos, den Kartellen, zusammenhängt, ist ein offenes Geheimnis. Aber bisher wird auf meiner Reise vor allem in Oaxaca die Erinnerung an die Studenten am Leben gehalten. Auf den geklebten Macheten an den Hauswänden steht geschrieben: Tausche meine Stimme gegen 43 Leben.

Am vergangenen Samstag waren es genau drei Wochen, die ich in Oaxaca verbracht habe. Und ich bin immer noch hier. An keinem Ort bin ich länger gewesen, keinen habe ich intensiver kennengelernt. Ich hab gesehen, das pünktlich zur größten Fiesta des Jahres, Guelaguetza, die Wände mit neuen Bildern beklebt, von denen einige drei Wochen später immer noch zu sehen sind. Die meisten „grabados“, also gedruckten und geklebten Holz- und Linolschnitten, reißen die Gegner der Protestkunst eins nach dem anderen von den Fassaden. Ich hae mitbekommen, wie einige Oaxaceños das auffälligste Gebäude der Stadt, das Guelaguetza-Auditorium, als Ort kapitalististischer Entgleisung verdammen. Auch von Korruption ist die Rede. Touristen sind in jenen Protestkreisen auch nicht gerne gesehen, was durchaus nachzuvollziehen ist, wenn knapp zwei Drittel der Bevölkerung des Staats Oaxaca unter Armut leiden. Alte und Kinder verkaufen bis tief in die Nacht auf den Straßen Zigaretten, Chips und irgendwelchen Kram, nach dem man nicht unbedingt auf dem Weg zur nächstn Bar sucht, bunte Plastikbälle und Puppen.

Er und Benito Juárez sind in der ganzen Stadt zu sehen: Revolutionsführer Emiliano Zapata.

Ich werde wohl noch bis Samstag in Oaxaca de Juárez bleiben, sollte am Ende meine Kreditkarte eintreffen (mehr dazu in der letzten Episode der Kolumne). Dass so lange nichts hier erschienen ist, hat mehrere Gründe: Technik, Faulheit, Zeitmangel. Ich war aber auch nicht ganz untätig. Neben zig Wutmails an Banken und mein ehemaliges Fitnessstudio habe ich noch eine investigative Gonzo-Geschichte für Estela und Christophs Hochzeitszeitung verfasst (Glückwunsch ihr beiden!), eine weitere ist in Planung, Kolumne kommt auch bald wieder und ein größeres Projekt habe ich auch noch in der Warteschleife. Ende der Woche geht’s weiter nach Chiapas und Guatemala, Spanisch lernen, im Hostel arbeiten. Zu Mexiko kommen dann sicher noch ein paar Episoden. Leserfrage gibt’s diesmal nicht. Schickt mir was!

Eine Wand der Drohung. Fünf Fäuste für eine korruptions- und touristenbefreites Oaxaca.

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