Die Kreditkartenodyssee oder: Wenn der Postmann gar nicht klingelt

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The Big Long oder Gefangen im Paradies: Wer sich sonst Groschenromane am Bahnhof kauft ist hier einigermaßen richtig. Von der (unerfüllten) Liebe eines Reisenden zu 46,2 Quadratzentimetern Plastik und einem aussichtslosen Kampf gegen internationale Banken und dem Briefträger vor der Haustür.

Edward Bellamy hat vor 130 Jahren in seiner Utopie „Looking Backward“ beinahe einen Volltreffer gelandet. Sieben Jahre bevor die ersten US-amerikanischen Hotels den Vorläufer der heutigen Kreditkarte ausgegeben haben, hat Bellamy seinen Protagonisten in das Boston des Jahres 2000 geschickt. Dort sind die Menschen glücklicher, weil sie nicht nach Leistung, sondern weil sie Mensch sind bezahlt werden, die Stadt ist quasi abgasfrei, Orchester spielen Konzerte über das Telefon und am Ende muss man kein Bargeld mehr in die Hand nehmen, sondern kann alles bequem mit der Kreditkarte abrechnen. Schöne neue Scheinwelt.

Bellamy hat leider zwei wichtige Faktoren, warum seine Vision in meinem Fall scheitern muss, komplett ignoriert: die mexikanische Post und die Dienstleistungsgesellschaft im digitalen Zeitalter. Die Kombination aus beidem führt mich viereinhalb Wochen nachdem ich meine Kreditkarte verloren habe an den Rand der Verzweiflung. Dazu kommt mein glückliches Händchen bei 50/50-Entscheidungen. Ich ziele immer genau auf die falsche ab. Ausbeute: 100 Prozent. Mittlerweile hoffe ich auf Wunder. Heute Früh hab ich lange an meinem Handy gelauscht, ob irgendein Vorstadtorchester ein Konzert einspielt. Fehlanzeige.

Seitdem denke ich praktischer. Ich habe beschlossen auf Geld so gut es geht zu pfeifen und anderen Reisenden anhand dieser Geschichte zu helfen, wie man sich nicht verhalten sollte. Gute Nachricht: Meine Schadenssumme beläuft sich annähernd auf Null.

Von vorne: Ich hab erst seit zwei Jahren eine Kreditkarte, weil ich nicht an Kreditkarten glaube. Bis dahin war mein Leben weder besser noch schlecher. Es war einfach kreditkartenlos.

Meine erste Kreditkarte habe ich mir bei der damals für Reisende unschlagbaren DKB besorgt. Seit Jahren (bis zum neuen Kundenangebot) wirbt die Bank mit Sitz im Berlin damit, mit dieser Karte an (quasi) allen Geldautomaten der Welt gebührenfrei abheben zu können. Das hat sich bis zu meiner Reise geändert.

Nur noch Aktiv-Kunden mit einem Geldeingang von mehr als 700 Euro im Monat heben seit Dezember 2016 noch kostenlos ab (nach einem Probejahr). An mexikanischen Automaten zahlt man damit pro Auszahlung zwischen 17 und 90 Peso (0,77 bis 4 Euro). Teurer wird es, wenn man die Karte verliert und schnelle Hilfe erwartet. Wie in meinem Fall.

Wie in der Kolumne geschildert, habe ich meine Karte übermüdet im Geldautomaten der Bank Banorte stecken lassen. Normalerweise habe ich immer an anderen Banken abgehoben: günstigere Gebühr und bei Santander oder Banamex kommt erst die Karte aus dem Schlitz, dann das Geld. Das ist idiotensicher und damit genau richtig für mich. Ich habe das Geld genommen, ab ins Taxi und zur Unterkunft.

Nach einer Runde Schlaf ist mir am Samstagvormittag mein Missgeschick aufgefallen. Erste Reaktion: Mein Gastgeber ist netterweise daraufhin mit mir zur Bank gefahren und hat die Bankangestellte gefragt, ob meine Karte eingezogen wurde. Das lasse sich erst am Montag feststellen, wenn die Automatentechniker wieder Dienst haben. Stark. Sie hätte ja nicht gleich irgendwo anrufen müssen. Hat sie auch nicht.

Nächster Schritt: Bank anrufen. Die DKB bietet eine 24-Studen-Notfallhotline mit Berliner Vorwahl an. Etwa fünf Versuche später ist das Geld auf meiner mexikanischen PrePaid-Karte aufgebraucht und mein Gesprächspartner war bis dahin einzig und allein die blecherne Computerstimme. Etwa fünfmal habe ich alle Daten eingegeben und im Staccato durchgesagt: Kartennummer, Geburtsort und so weiter. Fünfmal hat sich die Computerstimme am Ende entschuldigt und mir empfohlen noch einmal anzurufen oder eine Mail zu schreiben. Mein Problem: Ich wollte die Karte nicht sperren lassen, weil ich mir sicher war, das niemand nach mir in der Bank gewesen ist. Es ging einzig und allein um eine Live-Transaktionskontrolle. Ich wollte sicher gehen, dass niemand meine Karte stibitzt hat, bevor der Automat sie in Sicherheit geschluckt hat.

Nächster Versuch: Ich bitte meine Mutter darum, ihr Glück bei der Hotline zu versuchen und ich begehe den zweiten großen Fehler. Ich schreibe eine Mail an die DKB. Nach x Versuchen erreicht meine Mutter mitten in der Nacht eine Mensch-Mitarbeiterin, die ihr empfiehlt, die Karte in meinem Fall nicht sperren zu lassen und im Notfall immer von Diebstahl zu sprechen. Dann sei die Karte versichert. (Leider komplett falsch verstanden. Die Empfehlung kam nicht von einem Mitarbeiter – mein Fehler, Verzeihung.)

Knapp zehneinhalb Stunden nach meiner Mail antwortet die DKB: „Ich habe Ihre Karte gesperrt.“ Also exakt das, was ich nicht wollte. Wie mir später erklärt wird, hat die Mitarbeiterin korrekt nach den Richtlinien der Bank gehandelt. Der andere Mitarbeiter war eine Art Dienstleistungs-Revoluzzer, der es gut mit seinen Kunden meint. Doppeltes Pech für mich, denn niemand hat versucht Geld abzuheben, aber die Karte war ab diesem Zeitpunkt unbrauchbar.

Die DKB bietet in einer ganzen Reihe sachlich formulierter Textbausteinmails schnelle Hilfe an. Bargeld und Notfallkreditkarte in drei Tagen. Für Aktiv-Kunden – im Vergleich zu solchen Passiv-Schmarotzern wie mich – ist dieses schnelle Hilfsangebot kostenlos. Ich hingegen zahle für Notfall-Bargeld 150 Euro, für eine Notfallkreditkarte (mit der sich kein Geld abheben lässt, nur am Schalter) 180 Euro. Ich verzichte. Geld habe ich ja und zwei Bankkarten von zwei Banken mit dem neuen Label V PAY.

Spätestens jetzt wird es absurd. Die V PAY Girokarte wurde entwickelt, kontaktlos zu zahlen und möglichst überall Geld abheben zu können. Sie verzichtet auf den Magnetstreifen und mexikanische Geldautomaten verzichten deshalb darauf, mir Geld auszuzahlen. Auch kein Geld gibt es an Automaten in den USA, Thailand, Brasilien, Marokko und Tunesien heißt es auf der Finanzseite geldsparen.de in einem Beitrag vom 7. August 2017.

Als ich gerade verzweifelt zwei Geldkarten in drei Automaten am Busbahnhof stecke und penibel darauf achte, sie wieder einzupacken, trifft meine Rettung ein. Kathrin und ich waren zusammen in der siebten Klasse, haben uns davor in der Regel auf CNGRTS-Konzerten getroffen und uns diesmal in Oaxaca für ein paar Tage verabredet. Sie ist es, die mich schließlich mit Bargeld gegen Überweisung versorgt. Aber da war ja noch was… Ich komme immer noch nicht an Bargeld ran, sobald Kathrin wieder abdüst.

Nächster Versuch: Couchsurferin Shin und später einige andere Reisende empfehlen mir die Finanz-App Revolut. Revolut scheint ein geniales Start-Up zu sein, das den Finanzmarkt revolutionieren will. Dafür verschickt das Unternehmen kostenlos Kreditkarten, digitale und physische, und wirbt damit, den besten Wechselkurs anzubieten und Kryptogeldgeschäfte abzuwickeln. Mir geht es vor allem um die kostenlose Kreditkarte. Während es für Shin kein Problem war, sich auf ihr heimisches Girokonto eine Revolut-Kreditkarte ausstellen zu lassen, funktioniert das bei deutschen Kunden nicht. Ich bin Deutscher. Mit deutschen Bankkonten.

Revolut sagt mir, ich brauche eine Kreditkarte. Ich schaue mich um, ob sich gerade ein Hund in den Schwanz beißt. Fehlanzeige. Ich gehe zu Rosa und reserviere mir ein Bett für eine Woche im Hostel, bestelle mir eine normale DKB-Kreditkarte an die Adresse meiner Eltern und kaufe mir von Kathrins Geld ein oder mehrere Bier. Als ich bei der DKB nachfrage, ob die Kartenbestellung via App funktioniert hat, schreibt mir eine Mensch-Mitarbeiterin zurück, dass ich ein Formular ausfüllen müsse und ich andernfalls keine Kreditkarte erhalte. Ich frage nicht mehr nach dem Warum. Ich warte nur noch, dass mein Telefon klingelt und am anderen Ende das Berliner Ensemble den Wallkürenritt oder Also sprach Zarathustra einspielt. Willkommen in der Zukunft.

Die DKB-Kreditkarte trifft pünktlich nach zwölf Tagen bei meinen Eltern ein und ich überlege noch kurz, ob ich meine Eltern darum bitten soll, mir die Karte zuzuschicken oder mir anhand der Daten die Revolut-Karte aus den USA bestelle. Ich entscheide mich für die Zukunft. Allerdings wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass die Zukunft lange dauern kann. Insgesamt sind bis dahin etwa zwei Wochen in Oaxaca vergangen.

Verloren in der Zukunft

Die Daten lassen sich problemlos in die Revolut-App eingeben und als ich nur noch auf „bestellen“ klicken muss, fragt mich die App, ob ich nicht vielleicht Premium-Kunde werden will. Bisher bin ich nur Premium-Kunde bei Spotify und gefühlt im China-Restaurant „Hong Kong“ am warmen Buffet. Ich sage ja, weil ich als Premium-Kunde keine 20 Euro für die Expressbestellung zahlen muss, bis zu 400 Euro im Monat an jedem Automaten weltweit gebührenfrei abheben kann und so viele Ersatzkarten wie ich will ohne Zusatzkosten an jeden Ort der Welt in drei Tagen verschickt werden. Dafür zahle ich 82 Euro für das erste Jahr. Guter Deal, denke ich, schließe die Premium-Mitgliedschaft ab und übersehe dabei, dass meine Kartenbestellung mit dem Premium-Upgrade annulliert wurde. Das merke ich fünf Tage später.

Es gibt ja einen Grund, warum ich mir nicht die DKB-Karte aus Deutschland habe zuschicken lassen. Die Oaxaceños vertrauen ihrer Post nicht. Die Lösung Revolut + DKB-Kreditkarte in Sicherheit erschien mir weitaus praktischer und schneller. Allerdings habe ich das Zusammenspiel Revolut + mexikanische Post unterschätzt. Die Kreditkarte sollte seit sechs Tagen in der Post sein. Abgesichert via Trackingnummer und anschaulich in der App. Aus irgendeinem Grund taucht die Trackingnummer allerdings nie auf. Deshalb habe ich im Revolut „Live“-Chat nachgefragt. Nachzulesen in meiner Bildergeschichte:

Ich weiß nicht, ob Bellamy Live-Chats mit 24-Stunden-Service im Blick hatte, aber die Menschen in seiner Utopie waren weitaus weniger dystopisch unterwegs als ich.

Kurzes Ende: Ich habe eine zweite meiner unendlich vielen Revolut-Karten nach Oaxaca bestellt (diesmal mit Tracking!), habe mir Geld via Western Union besorgt (deutscher Bastian Sünkel an den mexikanischen, Kosten: 4,90 Euro und einige Nerven bei einem Bankangestellten, der unbedingt meinen zweiten Vornamen lesen wollte) und statt weiter jeden Tag Rosa nach der Post zu fragen, düse ich morgen ins Bergdorf San José del Pacifico und an den Strand von Mazunte. Bis nächste Woche ist vielleicht eine Karte eingetroffen. Oder das Postboten-Orchester von Oaxaca spielt für mich „Ba-Ba-Banküberfall“.

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