Exodus oder Ausweglosigkeit? Die Migranten-Karawane in Guatemala

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Eine Karawane, die wahrscheinlich niemals ankommt. Eine Supermacht, die droht alle Hilfsprogramme für Zentralamerika zu kappen. Ein Reisender, der für ein paar Stunden Migrationshelfer wird. Tausende Honduraner laufen der Hoffnung hinterher. Geschichten aus Guatemala.

Um 2 Uhr ist Fax aufgebrochen. Erst ging es raus aus der Ciudad de Guatemala Richtung Osten, fünf Stunden. Dann die Suche nach der Karawane, drei Stunden. Eine Kamera, ein Begleiter und dann sieht er die Hunderten Menschen, die sich langsam durch sein Heimatland Richtung Norden aufmachen. Rund 2000 Honduraner, die ihr Land verlassen haben, bewegen sich schneller oder langsamer Richtung Norden, abhängig allein von Fitnesslevel, Verletzungsgrad, Alter.

Zu Tausenden flüchten Menschen derzeit aus ihrem Heimatland Honduras. Fabricio Alonzo hat sie mit seiner Kamera auf einer Etappe begleitet.

Fax ist Fotojournalist und lebt in Guatemala City. Wir haben die letzten Tage miteinander verbracht und als er wieder aus dem Osten seiner Heimatlandes zurückkehrt, hat er ein Video an die AFP verkauft und genau das gesehen, was nun auch in europäischen Medien Schlagzeilen Macht. Die Flüchtilngskarawane, die Migranten auf dem Weg in die USA – wo sie mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals ankommen werden.

Zwei Männer, die er getroffen hat, waren in ganz unterschiedlichen körperlichen Verfassungen. Einer beinlos im Rollstuhl, der andere schiebend mit zwei Beinen. Der Mann ohne Beine war schon einmal oben im Norden an der Grenze zu den USA. Er hat beim Versuch mit dem Zug „La Bestia“ ins Land einzureisen mit seiner Gesundheit bezahlt. Nach der Katastrophe fand er sich wieder in Honduras. Jetzt schiebt ihn sein Freund auf Rädern an die Grenze zurück. Die Karawane der Hoffnungslosen läuft, geht, schlurft und rollt Richtung Norden.

Foto: Fabricio Alonzo

Und der Norden äußert sich stilecht über Twitter. Erst schafft es der Stellvertreter des Präsidenten, Mike Pence, ins Fernsehen Guatemalas. Er habe die „strong message“ des Präsidenten der USA an seinen honduranischen Kollegen überbracht – „no more aid if caravan is not stopped“. Die USA erpressen in einem ersten Schritt drei Länder Zentralamerikas – Honduras, Guatemala, El Salvador – alle Hilfsgelder einzufrieren, sollten nicht eines der Länder die Menschen aus Honduras stoppen. Dann äußert sich der POTUS. Weil ich es leid bin, diesen zu zitieren, hier eine Kurzzusammenfassung dreier Tweets: Die Demokratische Partei riskieren die Sicherheit der USA, weil sie (vermeintlich) offene Grenzen forderten. Die drei Länder Zentralamerikas seien unfähig, ihre eigene Bevölkerung in Zaum zu halten und die Flüchtlinge zu stoppen. Notfalls müsse Mexiko eben helfen. Und wenn nicht: Keine Hilfsgelder nach Zentralamerika, dafür das US-amerikanische Militär an die Grenze zu Mexiko. Das guatemalische Nachrichten-Showprogramm von TN23 hat mittlerweile einen Hashtag mit dem Wort „exodo“ initiiert und die Bild-Zeitung springt auch bald auf den Zug auf und titelt am Freitag mit militärischen Slang von honduranischen Migranten, die die Grenze zu Mexiko „stürmen“, übrigens die gleiche Wortwahl wie die „Tagesschau“ auf ihrer Webseite präsentiert.

Foto: Fabricio Alonzo

Es geht hier um die Kriminalisierung einer humanitären Katastrophe, wie Thorsten Denkler meines Erachtens vollkommen treffend in der Süddeutschen Zeitung die populistische Dämonisierung der Migranten vonseiten der USA kommentiert. Bitter, wenn selbst deutsche Medien auf militärische Termini zurückgreifen. In Guatemala diskutieren meine Begleiter in diesen Tagen weitaus differenzierter über den Flüchtlingstreck aus Honduras.

Foto: Fabricio Alonzo

Fotojournalist Fax berichtet mir, dass die meisten Honduraner ähnlich von einer aussichtlosen Situation in ihrem Heimatland sprechen: keine Arbeit, kein Vertrauen in die Regierung, kriminelle Banden, die das letzte bisschen Geld, das für die Familien bleibt, aus der Bevölkerung herauspressen. Ein Bild der Hoffnungslosigkeit, nicht ein geplanter Überfall krimineller Rädelsführer auf den reichen Norden. In die Guatemala City bleiben die Menschen in diesen Tagen öfters vor den Fernsehern der Cafés und Restaurants stehen. Über den Bildschirm laufen den ganzen Tag die Bilder aus dem Osten: Männer, Frauen, Kinder und ein Mann mit einer schwarz-gefärbten Honduras-Flagge bewegen sich über den Bildschirm.

Eddy (vorne) und seine Freunde von der Partei URNG Maíz richten in der Parteizentrale eine Unterkunft für die Flüchtenden ein.

Als ich mit dem ehemaligen Unesco-Mitarbeiter Eddy aus seinem Apartment, in dem ich seit mehreren Tagen lebe, zwei Plastiksäcke voller Kleidungsstücke abhole, weiß ich noch nicht, dass ich wenige Minuten später in der Zentrale der angeschlagenen Links-Partei URNG Maíz später am Abend 15 honduranischen Flüchtlinge Eier, Bohnen und Brot servieren werde. Eddy hat sich mit seinen Freunden – darunter Otto René Felix, der Sohn des Parlamentariers Walter Felix – dort verabredet, die im Vergleich zu ihm und zu mir Mitglied in jener Partei sind, die stark in Verbindung mit den revolutionären Kräften während des Bürgerkriegs gebracht wird, seit Jahren allerdings wegen innerer Unstimmigkeiten in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Mit einigen anderen Parteien in Guatemala City hat die URNG Maíz sich in diesen Tagen bereit erklärt, durchziehende Flüchtlinge aufzunehmen und sie am nächsten Tag wieder Richtung Norden zu verabschieden. Ein Lagerraum auf dem Dach wird mit einigen dünnen Matratzen, Decken und Bettlaken hergerichtet, gefegt und am Ende kauern sich die eintreffenden Männer und Kinder dicht an dicht in ihrem viel zu engen Schlafplatz.

Während in Europa eingangs erst die Sprachbarriere überwunden werden muss, ist es zwischen den beiden Ländern mit „Schengen-ähnlichem“ Grenzabkommen deutlich einfacher. Die Männer berichten von Überfällen, Unfällen und ebenso wie Fax‘ Begegnungen – von der Hoffnungslosigkeit im eigenen Land. Dann lieber sterben, als weiter in Honduras leben.

Meine Freunde aus Mexiko fragen mich, ob dort im Süden überhaupt noch Menschen leben, was in ihnen Vorgehen muss, ohne Aussicht auf eine Ankunft Richtung Norden zu marschieren. Ich habe ihnen in diesen Tagen meistens die Geschichte vom Rollstuhlfahrer und seinem Begleiter erzählt.

In der Zwischenzeit – der Text war nun leider zwei Wochen nur ein unpublizierter Entwurf – bewegt sich die Karawane Richtung Norden und das Gepolter der US-Regierung nimmt zu. Mittlerweile hat Trump Militärtruppen an der Grenze zu Mexiko positioniert. Mexiko wiederum steckt zwischen den beiden Welten fest. Mit den neuen Handelsverträgen haben die Vereinigten Staaten ein weiteres Druckmittel, dass die mexikanische Regierung zum Handeln zwingen könnte.

Egal, wie lange Eddy, Fax, Marianna und ich in diesen Tagen über die Ereignisse in Honduras, Guatemala, Mexiko und den USA diskutieren. Am Ende stellen wir uns immer wieder die gleichen Fragen: Haben Guatemala, Honduras und andere Länder, aus denen sich in diesen Tagen Tausende Menschen auf einen lebensbedrohlichen Exodus vorbereiten, überhaupt eine Chance in einer wirtschaftlich-kolonialisierten Welt jemals einen Platz zu finden, der zumindest die Grundsicherung gewährleisten kann? Der öffentliche Diskurs ist in diesen Tagen jedenfalls weit mehr auf Konflikt als auf globale Lösungen fokussiert.

Fax, eigentlich Fabricio Alonzo, hat mir vier seiner Aufnahmen von der Flüchtlingskarawane kostenlos für meinen Blog zur Verfügung gestellt. Ich hätte ihn gerne auf diesen Trip begleitet, musste aber die Bilder auf dem Fernseher im Wartezimmer verfolgen.

 

 

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