Mit dem Rücken zum Strand: Die Reisen des Weltreiseabbrechers

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Zurück in Deutschland hat sich das Leben in eine seltsam träge Jagd verwandelt: Kann man einfach so arbeitslos sein? Muss ich depressiv werden? Wie viele unverständliche Briefe muss ich noch für die Krankenkasse beantworten? Und warum dreht Vorgartensängerin Haley Heynderickx den Spieß herum und sagt: Ich sei Jäger und nicht Gejagter? Geschichten von der Rückkehr altbekanntes Neuland.

Wer meine Kolumne gelesen hat, weiß warum ich jetzt wieder zurück bin. Der Rücken, der Rucksack, der Rat der Ärzte. Am Ende fliegt mich die Versicherung per Businessclass aus – und ich versuche den Reiserhythmus gegen einen seltsam ungewohnten Lebenstakt des Rückkehrers einzutauschen. Eine Aufgabe, die schwieriger ist als erwartet.

Zurück nach elf Jahren in Franken, Agentur für Arbeit, Arztbesuche, Krankenkassenbesuche, Physiotherapie, Familie und Freunde, Jetlag. Auf Bayern2 läuft zufällig ein Mittagstalk zum Thema „Generation Weltreise/Sabbatical“. Die Anrufer und der Wissenschaftler sprechen von Reisedepressionen, die nach der Rückkehr auftreten können. Ich suche schon nach Lösungen und finde sie im Umgang mit der alten Heimat. Statt alles als als Normal zu betrachten, versuche ich auch hier erstmal als Tourist anzukommen, denke ich mir. Ich packe definitiv kleinere Rucksäcke.

Blick Richtung Staffelberg. Schön, oder? Angefeindet wird man in Franken nur mit Bildern in Schwarz-Weiß.

Wenn ich einen Termin in Lichtenfels habe, laufe ich nach Vierzehnheiligen und auf den Staffelberg. In einem Beichtstuhl in der Basilika hat die Putzfrau Wischmop und Eimer abgestellt, die offensichtlich auf die innere Reinigung warten. Ich besuche Wirtshäuser, in denen ich noch nie gewesen bin und spreche mit Leuten am Tresen, auch wenn die Gesprächsbereitschaft oft äußerst reduziert ist. Ich spiele nicht den Tourist. In diesen Momenten bin ich wieder Toruist, Fremder, seltsamer Besucher. Im Nothelfer Trunk, Vierzehnheiligen, vereinzeln sich die Besucher an mächtigen Gruppentischen. An anderen Orten enden Gespräche nach der Frage „Wie geht’s?“ In einer Bahnhofskneipe, in der im Vorbau geraucht und getrunken wird, fragt mich der Chef irgendwann, ob ich von der Polizei sei oder was ich hier vorhabe.  Am Nebentisch unterhalten sich ein paar Arbeiter über die harten „Gummiwochen“. Jede letzte Woche im Monat, wenn das Geld knapp wird, aber man auf den Kneipenbesuch nicht verzichten will oder kann.

Als ich bei der Krankengymnastik auf ein freies Behandlungszimmer warte, unterhalten sich zwei Frauen, die schlecht laufen, und ein älterer Mann, der nur sitzt, über den Zustand der Welt. Die ältere Frau, die zuvor an die Sitzecke mit dem Tisch voller Magazine mit krellen Regenbogen-Titelseiten und  versammelten europäischen Adel auf dem Cover, mehr gewatschelt als gegangen ist, scheint öfters solche Runden zu eröffnen, die nur aus Aussagen und niemals aus Fragen bestehen. Mit Sicherheit hat sie Übung vom Arzt, von der Discounterkasse, vom Entenweiher. Das Leben sei unfair, die da oben, wir hier unten. Aber es muss halt. Die Jugend gibt ein Bild des Grauens ab: „Ständig starren sie in ihre Kästla.“ Zu ihrer Zeit sei das noch anders gewesen. Da sei die Jugend rausgegangen. „Zum Hüpfn“, sagt sie. Wir hatten noch „Mensch ärgere dich nicht“ und „Mühle“. Wahnsinnsspiele. Weil sich niemand aus ihrer Generation Gedanken machen muss, dass etwas Unerwartetes passiert, weil man jeden Zug vorhersehen kann, wie die Phrasen der typischen Gespräche an den Nachbartischen oder im Warteraum der Therapiepraxis. Ich frage mich, ob das Hüpfn oder Mühle daran schuld sind, dass niemand nachfragt, was in dem Kästla passiert. Die Zukunft wäre spitze, wenn sie nicht ständig mit fremden Techniken und unbekannten Reaktionen aufwarten würde. Die Frau fühlt sich in der Zwickmühle der Teilnahmslosigkeit. Kann ja nur schlechter sein als damals.

Altes Haus, jetzt leer. Wie mein altes Wohnhaus sucht der zurüückgekehrte Reisende nach der neuen Funktion.

Ich poste in diesen Tagen Bilder in Schwarz-Weiß auf Instagram. „Sad places“ in Franken, wie ich es nenne, beschrieben mit den Texten von der neuen Platte von „Element of Crime“. Das verlassene Haus meiner Kindheit, ein an Tristesse kaum zu überbietender Spielplatz im Herbst, auf dem wahrscheinlich auch im Sommer kein Kind mehr jubelt, sollte es überhaupt die Hartplastikrutsche als Spaß empfinden. Freunde sprechen mich darauf an, ob es wirklich so schrecklich ist, zurück nach Oberfranken zu kommen. Ich kann nur antworten, dass ich nach Eindrücken gesucht habe, was sich hier verändert hat. Das größte Kaufhaus der Region wurde abgerissen, aus dem Haus meiner Oma verschwinden nach und nach alle brauchbaren Gegenstände, der Rest wird im Hof so positioniert, dass vielleicht noch jemand etwas Brauchbares finden kann. „Die Tschechen“, wie man hier in der Region seit meiner Geburt von den fahrenden Sperrmüllsammlern spricht. Als ich meine Mutter frage, was die Dauerkarte fürs Hallenbad in Burgkunstadt koste, schaut sie mich bemitleidend an. „Abgerissen“, vor etwa drei Jahren.

Die Wahrheit ist, dass ich mich in all den „sad places“ wiedererkenne. Nicht, weil ich in diesen Tagen traurig bin. Ganz im Gegenteil, das Willkommenzurück hätte anfangs kaum herzlicher sein können. Nein, ich spiegle mich nur deshalb, weil diese Dinge ihre eigentliche Funktion verloren haben und nach einem neuen Sinn suchen. Es ist etwas komplizierter als einfach die Bezeichnung Rückkehr-Depression einzuführen. Schwierig ist allein die Neuorientierung. Hat auf den Reisen mein Leben aus Veränderung bestanden, besteht hier das Leben um mich herum größtenteils aus Routine. Für einen arbeitslosen Journalist mit Rückenleiden ist das allerdings kein direkter Weg in die Depression. Ich kann immer noch beobachten, entdecken, schreiben. Eben nur in einer Region, die im November nicht unbedingt durch ihr Farbspektrum zu Fototouren im Freien einlädt – grau – und die eben nicht neu entdeckt werden muss. Aber doch ständig in einer seltsamen Langsamkeit irgendwas passiert. Eine Mutter, die den Kinderwagen durch den Discounter schiebt, führt ein seltsames Zwiegespräch mit ihrer Tochter. „A Aff bist du, a Äffla.“ Immer wieder, „a Aff‘, a Äffla“ bei der Runde um die Gemüseauslage. Bis die Situation wegen permanenten Schuhe-Ausziehen des Kindes an der Kasse eskaliert. „Na, das macht net amol a Aff‘! Das is‘ ka Spaß!“ Der Truckfahrer, der mit einer gleitenden Eleganz auf den Parkplatz einfährt ohne sichtbar abzubremsen. Hinter der Windschutzscheibe thront das obligatorische Schild mit seinem Spitznamen „Gaasmoo“. Hinten Gas, vorne er mit Zigarette. Zwei Geschichten, die sich am Entstehungstag des Beitrags abgespielt haben.

Das Reisen konnte ich allerdings nicht sofort abstellen. Statt darauf zu warten, wie mich die Machtlosigkeit gegenüber mir, meiner eigenen Neuausrichtung einholt, bin ich eben wieder rausgegangen. Berlin und Augsburg. Konzerte, Freunde, irgendwelche Begegnungen zwischen Bar und Gehsteig. Plötzlich habe ich wieder eine Kamera in der Hand und fotografiere und schreibe auf einigen Konzerten, um sie in diesem Text zu verarbeiten.

Haley Heynderickx fühlt sich wie vor der Flinte. Die Gitarre lässt sie allerdings nicht fallen.

Die Sängerin Haley Heynderickx sieht mich mit meiner Kamera und fühlt sich bedroht. Sie fragt ihre Zuhörer, ob sie diese Handyspiele kennen, bei denen man Tiere abschießen muss, um zu gewinnen. So fühle sie sich im Moment. Ich denke an die Ureinwohner Chiapas‘, die ihre Angst vor der Kamera mit dem Bild erklären, das Macht über sie ausübt. Seelenfangen ist etwas zu kurz gegriffen. Ein paar Schüsse später schreit Haley ins „Privatclub“-Publikum am Görlitzer Park „I want to start a garden“. In der Hoffnung, dass sich darin nie ein wildes Tier verirrt.

Taumelnd, aber nie fallend: Elias Bender Rønnenfelt von Iceage.

Zwei Tage später: Iceage im „Bi Nuu“. Elias Bender Rønnenfelt, der Sänger der dänischen Post-Punks, wirkt spätestens am Ende jedes Songs angeschossen. Wie ein sturzbetrunkener Brite beim Handgemenge vor der Pub-Tür schlägt er um sich, taumelt, zeigt das, was den Post-Punk vom Punk unterscheidet. Die Post-Generation zeigt sich nicht kampfbereit, sondern besiegt und schreit ihr Leid in die Welt hinaus. „Trust me / These arbitrary thrills /They never fail to transcend / Make me real / You reel in then you / Catch it / Catch it.“

Billy Fuller und Geoff Barrow von Beak> im Publikumsgespräch – über das Kreuzberg-Publikum.

Wieder zwei Tage später: Beak> im „Lido“. Große Bühne, ausverkauft, wie die beiden Konzerte zuvor. Bei Iceage war es der Sänger, hier schwankt das Publikum unter den hypnotischen Elektrofrickeleien Will Youngs (Moon Gang), Billy Fullers (Robert Plant) Gitarre und dem stoischen Trommeln Geoff Barrows (Portishead). Schreit einer zu laut „Yeah“ zückt Fuller den Mittelfinger und bespricht mit Barrow die Konzerttauglichkeit des Kreuzberg-Publikums. Eigentlich könne man ja alles spielen. Happy Birthday. Songtipp vom neuen Album „>>>“: „Brean down“.

Berlin ist auch keine bessere Welt. Aber auf der Straße und bei den Konzerten fühle ich, dass ich nicht der einzige bin, dem ein paar Lebenszweifel plagen. Dort geht man nur gelassener damit um. Ist mir der eine gutmütig gesinnt, mit dem ich in der Heimat über mein Leben nach der Rückkehr spreche, entschuldigt er meine Situation. „Ja, arbeitslos, kann ja mal passieren, aber dir scheint’s ja gut zu gehen, das ist die Hauptsach‘. “ Andere gehen offen-aggressiv damit um. Irgendwann schnappe ich den Begriff „Sozialschmarotzer“ auf und beschließe mich nun als immernoch schreibender Schreiber mit einigen neuen Projekten selbst so zu nennen. Sozialschmarotzer Bastian Sünkel, hocherfreut. Hört sich gut an. Und irgendetwas sauge ich auch aus diesem Leben auf.

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