Aufzeichnungen aus dem Kellerloch // Corona-Quarantäne, Teil 1

Spread the love

Schreib doch einfach weiter, sagt Barbara. Dabei bin ich immer noch am Gedankenordnen und, wie ich feststelle, bin ich damit nicht der einzige. Erste Feststellung: im Kellerloch ist man niemals allein. 

Mama wird sagen, Kellerloch ist frech und der falsche Begriff für mein in all seiner Improvisationskunst liebevoll mit einer Doppelmatratze auf dem Boden eingerichtetes Zimmer. Schließlich war es davor ein Partykeller. Ein Tisch, eine Eckbank, eine funktionsuntüchtige Küche und ein aufgeklebter Spruch an der Wand: „Eine Mahlzeit ohne Wein ist wie ein Tag ohne Sonnenschein.“ Ich wollte ja schon immer die Chance nutzen einem Blog-Eintrag, Zeitungsartikel oder Buch einen hochtrabenden Titel zu geben, so etwas wie „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ oder „Die Bibel“. Jetzt habe ich die Chance ergriffen. Mein erstes Jugendbuch werde ich übrigens „Liebe in Zeiten der Kohl-Ära“ nennen. Fehlt nur noch der Inhalt.

Plattenspieler statt Platten voller Horsd’œuvre: die Kellerküche.

Um die Zeit in Quarantäne — oder wie Markus Söder sagt „in einer Ausgangsbeschränkung“ — mit so wenigen psychischen Schäden wie möglich zu überstehen, habe ich die funktionsuntüchtige Küche mit einem Plattenspieler auf der Theke ausgestattet und mir die wichtigsten Platten aus meinem Wohnungslosen-Übergangsdepot geholt: „Desintegration“ von Klez.E und die Kuschelrock 4. Die Desintegration höre ich, wenn es mir schlecht geht. Die Kuschelrock 4, wenn ich will, dass es mir schlechter geht. Dazwischen höre ich meistens DIIV. Das war das letzte Konzert, das vorerst im Münchner „Strom“ ausgetragen wurde. Eine Erinnerung an bessere Zeiten und eine Mahnung an meine Leichtsinnigkeit.

Grundsätzlich habe ich kein Problem mit Quarantäne, stelle ich fest. Vielleicht liegt es hauptsächlich daran, dass ich für mich schon beschlossen hatte, dass ich mir das Virus eingefangen habe und nun die Erleichterung überwiegt. Die Angst, eingesperrt mit seiner kompletten Familie nach 14 Jahren der Abwesenheit zu verbringen, hört sich an wie eine Big-Brother-Fantasie, in der sich jeder seit seiner Geburt kennt, zwischendurch Freigang hatte und jetzt alle Allüren und Macken, die er sich in der weiten Welt angeeignet hat, an seinem engsten Kreis testen kann. Das ist grotesk genug, um es amüsant zu finden.

Ich habe die vergangenen beiden Tage an mir festgestellt, dass ich viel zu empfindlich bin, wenn mir eine Unterhaltung zu flach und starrsinnig wird. Beispiel: Meine Oma, 81, ruft an und erklärt meiner Mutter, in einem leichten Anflug der Panik, der auch außerhalb von Corona-Zeiten relativ regelmäßig eintritt, dass ihr die Sahne in Glasflaschen ausgeht und sie dringend Nachschub braucht. Meine Oma lebt auf dem Dorf. Kein Laden, viele Kühe, keine Sahne. Entweder muss meine Mutter Sahne in Glasflaschen kaufen oder eine meiner Tanten, die etwas näher am Haus meiner Oma wohnen. Die Männer halten sich aus der Sahne-Debatte raus.

 

Stark ausgerollt und ganz ohne Sahne…
…georgische Khinkali als Brüderwerk mit David.

Meine Mutter fragt, warum meine Oma nicht einfach meine Tante fragt, ob sie Sahne mitbringen kann, wenn sie von ihrem Arbeitsplatz als Sprechstundenhilfe heimfährt. Meine Oma antwortet: Weil im Edeka Mainleus die Glasflaschen-Sahne ausverkauft ist. Meine Mutter fragt: Und was ist mit der Becher-Sahne? Meine Oma antwortet (leicht gereizt): Sie will die Glasflaschen-Sahne. Ich sage, das sei vorbildlich. Meine Oma ist keine Umweltsau. Aber meine Mutter gibt nicht nach und erklärt, dass man in Corona-Zeiten ja mal Abstriche machen könne und wenn die Glasflaschen-Sahne eben ausverkauft sei, meine Oma doch in diesem Fall ausnahmsweise zur Becher-Sahne greifen soll, die meine Tante nach Feierabend auf dem Nachhauseweg vom Doktor mitbringen kann. Jeder muss Opfer bringen zur Zeit. Meine Oma lenkt ein. Ich hab in dem Moment Lust etwas zu schütteln und frage mich, wie lange man eine Kuh schütteln müsste, bis sie Sahne gibt.

Meine Großtante, 84, hat mich vorgestern am Telefon gefragt, als ich sie gefragt habe, ob ich etwas aus dem Supermarkt mitbringen soll, ob ich mit ihr auf eine Einkaufstour nächste Woche gehe. Ich hab gesagt, dass das eine schlechte Idee sei. Sie sagt, Irma und Hans und noch ein paar Namen aus einer anderen Zeit machen das ja auch. Die fahren sogar mit dem Seniorenbus. Alle zusammen, sechs Mann. Ich sage, dass das eine extrem schlechte Idee sei, gerade wegen Irma und Hans, die ja offensichtlich keine Berührungsängste haben. Sie sagt, dass ich ganz schön streng sei. Ich antworte, dass Irma und Hans deppert sind, wenn sie meinen, nicht einmal ihre billigsten Gewohnheiten ändern zu müssen und sich und andere Irmas und Hansen damit in Gefahr zu bringen. Deppert habe ich mir bei der Tramptour durch Österreich verstärkt angewöhnt. Meine Großtante zeigt sich meistens am Ende einer solchen intensiven Tirade einsichtig, fragt aber beim nächsten Anruf wieder nach. Heute habe ich erfahren, dass sie nächste Woche mit der Nachbarin einkaufen geht. Meine Großtante und meine Oma sind übrigens Schwestern.

Nichts zu tun? Ein Videocall mit Herrengedeck kann helfen…

Ich weiß noch nicht, wie ich mich in solchen Situationen verhalten soll. Allgemein habe ich mir die Ausgangssperre am Samstag noch wesentlich entspannter vorgestellt. Ein Kellerloch ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Statt Selbstgespräche mit mir zu führen, hält die Welt Einzug in meinem Zimmer. Am Wochenende habe ich mir noch gedacht, dass ich nach Gauß der zweite Mensch sein werde, der eine „Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer“ veröffentlicht. Jetzt bin ich zufrieden, überhaupt ein paar Zeilen veröffentlichen zu können, weil ich Nachrichten aus der ganzen Welt empfange, am Abend zu Videocalls mit Bieranstoßen ohne Klirren eingeladen werde, am Geburtstag die sonst obligatorischen einminütigen Geburtstagsgrüße gerne mal eine Stunde und länger dauern und ich zwischendurch ja noch einen Roman schreiben, Gitarre lernen, für Ordnung sorgen, eine Heilfastenkur durchziehen (damit fällt das Bier beim Videocall weg), Rückengymnastik machen und wandern gehen will.

…oder einfach mal raus.

Statt zu resignieren, habe ich beschlossen, nun regelmäßig ein Corona-Tagebuch zu schreiben, in dem alle möglichen Einflüsse von außen erwähnt werden und ein paar Gedanken ausgetauscht werden sollen. Nachrichten, die ich von meinen Freunden und Bekannten aus der ganzen Welt erhalte, werde ich hier mit einbinden und sehen, was nach Ostern dabei herauskommt. Deshalb: Schreibt mir! Schreibt mir mehr! Ich kann es endlich verarbeiten.

Dazu habe ich noch die Aktion „music for quarantine“ auf Instagram (bsuenkel) gestartet. Hier die ersten drei Quarantäne-Alben als Empfehlung:

      • Tag 1 // Klez.E – „Desintegration“
      • Tag 2 // House Party – „Adventure times“
      • Tag 3 // Get Well Soon – „Love“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert